Envy-[Neid]
hinabglitt…
»War es Todds?«
Er schoss hoch, als hätte ihn sein Rollstuhl in die Kehrseite gezwickt. »Hä?« Er räusperte sich und schüttelte den sexuellen Tagtraum ab. »Pardon?«
»Die Fehlgeburt von Mary Catherine. War es Todds Baby?«
»Was glaubst du denn?«
»Es wird angedeutet. Erfährt man es je genau?«
Er schüttelte den Kopf. »Meiner Ansicht nach belässt man es besser bei einer Andeutung. Soll der Leser doch seine eigenen Schlüsse ziehen.«
»Einverstanden.« Wieder blätterte sie die Seiten durch, wobei sie immer wieder anhielt, um einen Absatz erneut zu lesen. »Ein bemerkenswerter Charakter. Roark, meine ich. Er ist so… nun ja, heroisch. Wie Mary Catherine sagt: Er ist nett.« Parker verzog das Gesicht. »Hoffentlich ist er nicht zu nett, oder? Schließlich möchte ich nicht, dass er als Heiliger dasteht. Oder noch schlimmer: als Weichei.«
»Tut er nicht.« Trotz ihres aufmunternden Lächelns runzelte er weiter zweifelnd die Stirn. »Parker, vertrau mir. Wenn er vor lauter Nettsein langweilig wäre, würde ich’s dir sagen.
Nette Helden machen die Leserinnen genauso wenig an, wie es eine männliche Leserschaft nach allzu tugendsamen Heldinnen gelüstet. Beide sollten wenigstens einen Hauch moralischer Verruchtheit besitzen, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Diesbezüglich brauchst du dir um Roark keine Sorgen zu machen. Die Leserinnen werden ihn lieben, wenn nicht wegen anderer Szenen, dann allein schon für diese. Er ist sehr männlich. Seine Reaktionen sind instinktiv maskulin. Erst einmal betrachtet er alles unter einem sexuellen Blickwinkel, bevor er ihn auf andere Faktoren, wie z.B. Moral, ausweitet. Gleichzeitig hat er ein Gespür für Mary Catherines Bedürfnisse. Er schlägt ihre Einladung zum Sex aus und beweist damit, dass er weiß, wo der Anstand Grenzen setzt. Ohne dem Leser seinen guten Charakter aufdringlich unter die Nase zu reiben, deutest du damit an, dass er ein starkes Gewissen und eine moralische Ader besitzt. Er wahrt einen Ehrenkodex, ein…«
Bei einem zufälligen Blick nach oben ertappte sie ihn dabei, wie er sie stumm auslachte. »Was ist?«
»Diese Stelle hat dich tatsächlich ergriffen, nicht wahr?«
»Das ist mein Job.«
»Ich verstehe ja, dass du dich dafür begeistern musst. Aber letztlich, Maris, ist und bleibt es ein Buch.«
»Für mich nicht.« Sie sprach leise und ein wenig schüchtern. »Wenn ich ein Buch wirklich liebe, werden seine Figuren real. Vielleicht hängt das mit dem frühen Tod meiner Mutter zusammen. Ich brauchte Menschen um mich. Und so wurden die Prinzen und Prinzessinnen aus meinen Büchern meine Adoptivbrüder und -schwestern. Ich habe in Palästen gelebt und auf Piratenschiffen. Habe Berggipfel erklommen und mir einen Weg durch dunklen Dschungel gehackt. Kapitän Nemos U-Boot war mir genauso vertraut wie mein eigenes Schlafzimmer. Die Figuren in meinen Büchern nahmen mich auf ihre Abenteuer mit. Ich war in all ihre Geheimnisse eingeweiht, kannte ihre Hoffnungen und Träume und ihre Ängste. Sie wurden für mich wie eine Familie.«
Sie strich eine umgeknickte Manuskriptseite glatt und zuckte leicht die Achseln, halb gehemmt, halb bescheiden.
»Schätzungsweise ist diese Leidenschaft für Romane mit mir erwachsen geworden.«
Mehrere nachdenkliche Minuten hielt sie den Kopf gesenkt. Schließlich schaute sie zu ihm hinüber. Er beugte sich zu ihr und sprach ganz leise: »Wenn dich schon ein Buch so erregen kann, dann wüsste ich gern, welche Leidenschaften noch in dir schlummern.«
Sie wusste ganz genau, was er dachte. Ihre Gedanken liefen auf derselben Schiene, denn ihre Augen wurden glasig, und sie schnappte verhalten nach Luft.
»Das E-Wort erregt mich«, flüsterte sie.
»Das E-Wort?«
»Essen.«
Lachend warf er den Kopf zurück. Es polterte einfach aus seiner Brust heraus und fühlte sich so gut an, dass es ihn verblüffte. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er spontan gelacht, ohne eine Spur von Bitterkeit und Zynismus.
Sie feuerte eine imaginäre Pistole auf ihn ab.
»Getroffen.«
»Ich kapituliere. Hast du Hunger?«
»Ich bin schon fast verhungert.«
»Mike wird mir nie verzeihen, was für ein mieser Gastgeber ich bin. Ich kann zwar irgendetwas Essbares zusammenstellen, aber du musst mir dabei helfen.«
»Dann mal los.«
Sie begaben sich in die Küche und bastelten gemeinsam Sandwiches mit Speck, Salat und Tomaten zusammen.
»Avocado?«, fragte er, während er die Speckstreifen zum Bräunen in die
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