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Envy-[Neid]

Envy-[Neid]

Titel: Envy-[Neid] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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ihm den warmen Styroporbecher ab. Er setzte sich in seinen Schreibtischsessel. Als er ein Tütchen Süßstoff aufriss, klang dieses Geräusch in dem kleinen Zimmer unnatürlich laut. »Eins oder zwei?«, fragte er.
    »Eins genügt.«
    Sie zog den straffen Plastikdeckel vom Becher. Mike schüttete den Tütcheninhalt in den duftenden dampfenden Tee, dann reichte er ihr zum Umrühren einen Plastikstab. Sie rührte viel länger, als nötig war, um den Süßstoff aufzulösen. Beim Kosten verbrannte sie sich die Zunge.
    »Das ist nicht das Ende, oder?«, fragte sie.
    Stirnrunzelnd betrachtete Mike seinen Kaffee. »Das letzte Kapitel hat er nicht einmal mir gezeigt. Ich bin nicht sicher, ob er’s schon geschrieben hat. Vielleicht ist es zu schmerzhaft.«
    »Noch schmerzhafter als das? Himmel«, rief sie leise , »das ist unvorstellbar. Ich kann nicht glauben, dass das wirklich passiert ist.«
    Viel sagend schaute Mike sie an. Ihre Bemerkung war rein rhetorisch gewesen, denn in Wahrheit glaubte sie jedes Wort von Parkers Darstellung. Das hatte Noah seinem Freund angetan. Sie wusste es. Sie wusste, dass er dazu fähig war.
    »Mike, was ist danach geschehen?«
    »Todd…«
    »Noah. Das ist kein Roman.«
    »Noah ist zum Jachthafen zurückgefahren.«
    »Wie im Prolog erzählt wurde. Er hat den Hysterischen gemimt. Behauptete, Parker hätte an Bord durchgedreht. Hätte das Mädchen vergewaltigt und ihn angegriffen. Sie hätten gekämpft. Das Mädchen sei über Bord gefallen und Parker auch. Noah habe versucht, beide zu retten.«
    »Er muss ins Wasser gesprungen sein, damit seine Kleidung nass war und es so aussah, als hätte er nach ihnen gesucht.«
    »Als Auslöser für Parkers gewalttätigen Wutanfall nannte er Neid.«
    »Selbstverständlich eine glatte Lüge. Allerdings eine verdammt gute. Eine glaubwürdige. Die Küstenwache organisierte eine Such und Rettungsaktion.«
    »Mary Catherine?«
    »Ihr Körper wurde nie gefunden. Offiziell wurde Tod durch Ertrinken festgestellt.«
    »Und was war mit Parker?«
    Bevor Mike antwortete, trank er einen Schluck Kaffee. Sie durchschaute diese Verzögerungstaktik.
    »Parker wurde rein zufällig gefunden. Ein Fischer hat ihn entdeckt. Todd hatte der Küstenwache lediglich die ›ungefähre‹ Position gegeben.«
    »Das heißt, meilenweit entfernt.«
    »Meilen. Parker war seit Stunden im Wasser gewesen. Dass er noch lebte, war ein Wunder. Wahrscheinlich hat ihm der Schock das Leben gerettet. Er hat weiter mit den Armen gerudert, um nicht unterzugehen. Wie er aber überhaupt zu irgendeiner Bewegung fähig war, das weiß nur Gott. Die Schaufeln des Außenbordmotors haben seine Beine in Stücke zerfetzt. Beim ersten Anblick haben ihn die Fischer mit einem Tierkadaver verwechselt, den jemand als Köder benutzt hat. Wissen Sie, da war so viel Blut im Wasser.«
    Mit zitternder Hand stellte Maris den Tee beiseite. Sie hatte nur einen Schluck getrunken.
    »Über eine Woche galt sein Zustand als kritisch«, fuhr Mike fort. »Irgendwie hat er überlebt. Schließlich hat man seine Beine wieder zusammengesetzt, Stück für Stück.«
    »Er hat mir erzählt, dass er sich mehreren Operationen unterziehen musste. Was hat Noah unterdessen gemacht? Er hat doch sicher befürchtet, Parker würde seine Version der Geschichte erzählen und die Polizei von der Wahrheit überzeugen.«
    »Ich habe Ihnen eine stark gekürzte Zusammenfassung gegeben«, erklärte Mike. »Es dauerte Jahre, bis Parkers Beine wiederhergestellt waren. In den ersten Tagen haben die Unfallärzte fieberhaft daran gearbeitet, ihn wenigstens am Leben zu erhalten. Schließlich wurde er von der kritischen Liste gestrichen. Dann kämpfte er auf einer Intensivstation wochenlang gegen eine Infektion. Kein Schmerzmittel war stark genug, ihn für längere Perioden bewusstlos zu halten. Die restliche Zeit brüllte er vor Schmerzen und flehte sie an, ihn zu töten. So viel hat er mir gestanden.«
    Mit einer feuchtkalten Hand bedeckte Maris ihre bebenden Lippen. Tränen brannten in ihren Augen.
    »Er hatte enorm viel Blut verloren. Vielleicht hat man ihm deshalb nicht sofort die Beine amputiert. Sie hatten Angst, er würde auf dem Operationstisch verbluten. Oder man wollte seinen Zustand stabilisieren, bevor man einen derart traumatisierenden Eingriff wagte. Das alles sind Mutmaßungen; ich weiß es nicht. All das habe ich erst viel später erfahren. Niemand hat mir von dem Unfall erzählt. Erst später habe ich es rein zufällig herausgefunden.
    Als er

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