Envy-[Neid]
sonderlich gut zurecht.« Er musterte sie unter seinen Augenbrauen. »Ich glaube, Sie wissen, dass er bereits ziemlich tief gesunken war, als ich erfuhr, was meinem Musterschüler zugestoßen war und mich auf die Suche nach ihm machte.«
Sie nahm die Seiten aus ihrem Schoß und strich sie glatt.
»Ich bedauere, dass ich Noah Reed jemals begegnet bin. Mike, ich habe ihn geliebt oder dachte es wenigstens. Ich war mit ihm verheiratet, wollte Kinder von ihm haben. Wie konnte mir entgehen, wer er wirklich ist?«
»Sie haben nicht hingeschaut. Sie wussten nicht, wie man hinsieht.«
»Trotzdem hätte ich die Signale deuten müssen. Dass er hier die Universität besucht hat, wusste ich, obwohl er nie ein Wort über sein Leben vor seiner Zeit in New York verloren hat. Nicht einmal eine beiläufige Bemerkung. Er besaß keinerlei Andenken oder Fotos, nur eines als kleiner Junge mit seinen Eltern. Nie hat er Kontakt mit alten Freunden gepflegt; nie in Erinnerungen geschwelgt. Er meinte, er ziehe ein Leben in der Gegenwart allen Besuchen in der Vergangenheit vor. Und ich Dumme habe diese Erklärung ohne zu hinterfragen akzeptiert. Warum bin ich nie auf die Idee gekommen, dass er etwas verbirgt?«
»Maris, gehen Sie nicht allzu hart mit sich ins Gericht. Noah, das sind zwei grundverschiedenen Menschen, die einen einzigen Körper bewohnen. Sie sind nicht die einzige Düpierte.«
»Handelte es sich um ein Element im Plot von Neid, oder haben Sie Parker tatsächlich einen Brief geschrieben, worin Sie ihn warnten, Noah nicht den Rücken zuzukehren?«
»Ich habe einen ganz ähnlichen Brief geschrieben wie den, den Parker uns laut vorgelesen hat. Eigentlich fast wortwörtlich.«
»Also haben Sie Noah durchschaut, obwohl er nur Ihr Student war. Ich war seine Frau. Keine gute Empfehlung für meine Beobachtungsgabe.«
»Denken Sie daran, Parker hat mit ihm zusammengelebt. Fast sechs Jahre. Hier auf dem Campus und danach in Florida. Gelegentlich hat er zwar Spuren von Egoismus und Egozentrik entdeckt, aber auch er hat erst in jener Nacht im Wasser begriffen, dass Noah durch und durch böse ist.«
»Das glaube ich gern. Erst neulich war mir ein kurzer Blick auf dieses böse Alter Ego gestattet.« Sie schaute auf die Seiten, die immer noch in ihrem Schoß lagen, und strich fast liebkosend über das Deckblatt. »Im Vergleich zu Noah ist Parker nicht böse. Aber grausam ist er.« Sie hob den Kopf, schaute zu Mike hinüber und sagte: »Mike, warum hat er das getan?«
»Aus Rache.«
»Warum hat er mich hineingezogen?«
»Maris, ich entschuldige mich in aller Form für meinen Anteil daran. Mir war von Anfang an nicht wohl dabei. Und als ich Sie dann kennengelernt habe, mochte ich es ganz und gar nicht mehr.« Er machte es sich in seinem Sessel bequem und fixierte eine Ecke der Zimmerdecke, während er seine Gedanken ordnete. »Schauen Sie, auf diesem belastenden Video hat Noah Parker beschuldigt, mit Mary Catherine Sex gehabt zu haben.«
»Also hat er die Unterstellung Realität werden lassen. Mit mir.«
»So ähnlich. Eigentlich hätte Parker der Erfolg der Mackensie-Roone-Bücher genügen müssen. Tat es aber nicht. Die beste Rache, die er sich ausdenken konnte, war die Story von ihm und Noah. Und zwar so gut geschrieben, dass er Sie damit faszinieren konnte, eine angesehene Lektorin.«
»Die zufälligerweise auch Noahs Frau war.«
»Meiner Ansicht nach kam ihm diese Idee, als er las, dass Noah Sie geheiratet hatte.«
»Ich war der Katalysator, der den Plot in Bewegung setzte.«
Mike nickte ernst. »Jeder gute Plot hat eine Komponente, die alle anderen miteinander verbindet. Der rote Faden, der die Einzelteile zusammenknüpft.«
»Wie soll das Ende aussehen?«
»Das wollte er mir nicht sagen.«
»Vielleicht hat er keines. Vielleicht genügt es ihm als Rache, dass er mich getäuscht und mit mir geschlafen hat, und sich deshalb nun ins Fäustchen lachen kann.«
Mike reagierte auf ihre unverhohlene Bitterkeit. »Maris, ich rechtfertige seine Tat nicht, aber ich kann sie verstehen. Parkers Gefühlsleben kennt nur zwei Empfindungen: Leidenschaft oder gar nichts. Das ist für ihn die einzig sinnvolle Erfahrungsebene. Sonst braucht er sich gar keine Mühe zu machen. Wie sollte er da, was Rache betrifft, weniger leidenschaftlich sein?«
»Er wollte, dass Noah wenigstens eine Spur von den Schmerzen erlebt, die er seinetwegen erdulden musste. Er wollte, dass Noah weiß, was es heißt, sich maßlos betrogen und verraten zu fühlen.
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