Envy-[Neid]
Schätzchen.«
Es war ihr Revier. Sie waren Stammgäste. Kaum kamen sie im T.R.’s durch die Tür, zapfte ihnen T.R. höchstpersönlich einen Krug Bier und brachte ihn in ihre Nische.
»Danke, T.R.«
»Danke, T.R.«
Speisekarten gab es nicht. Trotzdem mussten sie nicht einmal bestellen. Da T.R. ihr Lieblingsessen kannte, watschelte er hinter die Theke zurück und fing an, ihre Pizza zu belegen. Diese und das Bier gingen auf ihr gemeinsames Konto, das sie bei Gelegenheit ausglichen. Diesen individuellen Service genossen T.R.s Kunden seit gut dreißig Jahren.
Es hieß, er habe sich als Erstsemester an der Universität eingeschrieben, aber dann gleich die ersten Prüfungen verpatzt. Das Studiengeld für sein zweites Semester habe er als Anzahlung für dieses Gebäude verwendet, das schon damals kurz vor dem Abbruch stand. T.R. hatte sich mit Renovierungsarbeiten nicht aufgehalten, und so stand es heute noch da wie beim damaligen Besitzerwechsel. Seither nutzten Dozenten für Bauwesen und Architektur das Gebäude als Fallstudie für tragende Balken.
Auf den Lampen lagen ganze Generationen fettigen Staubs. Der Linoleumboden war an einigen Stellen glitschig, an anderen aufgeraut. Keiner riskierte einen Blick unter die Tische, aus Angst, was er finden würde. Und nur in Notfällen suchten biergeblähte Blasen auf der Toilette Erleichterung.
Als Lokal machte es nicht viel her. Trotzdem war es eine Institution. Jedes männliche Wesen auf dem Campus kannte T.R.’s, weil es zwei studentische Grundbedürfnisse befriedigte: mit kaltem Bier und heißer Pizza.
Bis zur Mitte des Semesters kannte T.R. jeden Gast mit Namen, und falls ihm der nicht einfiel, wusste er immer noch, welche Pizza besagtes Menschlein bevorzugte. Todd und Roark nahmen immer dieselbe: dick mit Pepperoni und einer Extraportion Mozzarella belegt und obenauf ein bisschen zerstoßenen Chili.
Grübelnd kaute Roark seine ersten wunderbaren Bissen Käse. »Meinst du das wirklich?«
»Was meine ich?«
»Dass Gatsby ein Weichling war.«
Todd wischte sich mit einer Papierserviette aus dem Tischspender den Mund ab und trank einen großen Schluck Bier. »Der Kerl ist reich. Lebt wie ein Scheißprinz, oder so. Er hat alles, was sich ein Mann nur wünschen kann.«
»Bis auf die Frau, die er liebt.«
»Die eine selbstsüchtige, doofe Egoistin auf der Kippe zur ausgewachsenen Neurose ist und ihn ständig bescheißt.«
»Aber für Gatsby repräsentiert Daisy das, was er mit seinem Geld nicht kaufen kann. Das Unerreichbare.«
»Ehrbarkeit?« Todd hob ein weiteres Stück Pizza vom verbeulten Metallteller und biss ab. »Mit seinem Geld? Warum sollte er sich einen Dreck darum scheren, ob man ihn akzeptiert oder nicht? Er hat den ultimativen Preis für ein Ideal bezahlt.« Kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Nicht der Rede wert.«
»Hmm.« Roark signalisierte ein gewisses Einverständnis und trank aus seinem beschlagenen Krug. Sie diskutierten die Vorzüge von Gatsby und danach von Fitzgeralds Werk im Allgemeinen, was sie auf ihre eigenen hehren literarischen Ziele brachte.
Roark fragte: »Wie kommst du denn mit deinem Manuskript voran?«
Ihre Examensarbeit, ihr Schlussstein für ein Bakkalaureat in Kunst und Literatur, bestand aus einem Roman mit mindestens siebzigtausend Wörtern. Das einzige Hindernis zwischen ihnen und dem Abschluss war die Geißel jedes Studenten, der Kreatives Schreiben belegte: Professor Hadley.
Todd runzelte die Stirn. »Hadley hat mich wegen meiner Figurenbeschreibungen am Wickel.«
»Genauer gesagt?«
»Sie seien holzschnittartig, sagt er. Weder originell noch spontan. Kein Tiefgang. Bla, bla, bla.«
»Das sagt er doch bei jedem.«
»Auch bei dir?«
»Ich habe die Kritik noch vor mir«, erwiderte Roark.
»Nächsten Dienstag, am helllichten Morgen um acht. Wenn ich Glück habe, komme ich lebendig davon.«
Die beiden jungen Männer hatten sich im ersten Semester in einem Pflichtseminar für Aufsatzlehre getroffen. Der Dozent war ein junger Hochschulabsolvent gewesen, über den sie später befanden, er könne seinen Schwanz nicht vom schönsten Partizip unterscheiden. In der ersten Seminarwoche verteilte er einen fünfseitigen Essay über John Donnes Andachtsübungen.
Der Dozent nahm sich viel zu wichtig, und hatte Haltung und Ton eines Professors angenommen. »Auch wenn Sie mit dem Text nicht gänzlich vertraut sein sollten, werden Sie sicher den Ausdruck ›Wem die Stunden schlagen‹ wiedererkennen.«
»Verzeihung, Sir.«
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