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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wo der dünne Lederriemen eingeschnitten hatte. Er versuchte etwas zu sagen, bekam aber nur ein schmerzhaftes Keuchen heraus.
    Skar blieb sekundenlang reglos hocken. Seine überanstrengten Muskeln schrien vor Schmerz, und vor seinen Augen flimmerten rote und grüne Punkte. Der Gang schien für einen Moment zu verschwimmen, wand und bog sich auf unmögliche Weise und kippte dann um. Erneut fühlte sich Skar an seinen sonderbaren Traum erinnert, und wieder hatte er das Gefühl, dies alles schon einmal erlebt zu haben, schon einmal hiergewesen zu sein.
    »Was… ist passiert?« fragte er schweratmend.
    Del stemmte sich mühsam hoch, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und deutete wortlos hinter sich. »Vornash«, stieß er hervor. »Er liegt dort hinten. Sieh selbst.«
    Skar stand auf und ging schwankend in die Richtung, in die Del gewiesen hatte. Coar hockte zusammengekauert neben einem verkrümmten, reglosen Körper. Ihre Haltung erschien ihm unnatürlich und steif, als wäre sie mitten in der Bewegung erstarrt.
    Der Mann vor ihr war tot, ebenso tot wie Horum, den sie unten in der Höhle gefunden hatten. Aber er war keinem Hoger zum Opfer gefallen, und auch keiner anderen Alptraumbestie, die vielleicht in diesem Reich der Dunkelheit und des Schweigens lauern mochte.
    Jemand hatte ihm die Kehle von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt.
    Seshar«, murmelte Bernec, »ich bin sicher, daß Seshar dahintersteckt. Er, Mergell oder ein anderer dieser Speichellecker.«
    Er war der letzte gewesen, der vom Grund der Höhle hinaufgestiegen war, und nun war er der erste, der das betäubte Schweigen, das sich wie ein Hauch klammer Angst über der Gruppe ausgebreitet hatte, brach. Er beugte sich vor, drückte dem Toten mit einer fast zärtlichen Bewegung die Augen zu und stand schwerfällig auf. Die Männer hatten die restlichen Fackeln entzündet, und der niedrige Stollen war auf eine Länge von dreißig, vierzig Schritt beinahe taghell erleuchtet. Skar sah es mit gemischten Gefühlen. Die Fackeln brannten rasch herunter, und sie hatten keinen sehr großen Vorrat davon mitgenommen. Aber er verstand die Männer nur zu gut. Mehr als alles andere war die Dunkelheit ihr Feind; eine Finsternis, die ganz anders zu sein schien als jene, die sie bisher kennengelernt hatten. Es war eine Dunkelheit, die ihn erneut an seinen bizarren Traum erinnerte, die wie die Leere auf jener gläsernen Ebene nicht bloß die Abwesenheit von Licht, sondern vielmehr die Anwesenheit von etwas anderem, Bösen zu bedeuten schien.
    »Sie könnten sich gegenseitig getötet haben«, murmelt Del, aber er schien selbst zu spüren, was er für einen Unsinn redete. »Du hast keinen Beweis, daß…«
    Bernec fuhr mit einer abrupten Bewegung herum. »Keinen Beweis?« schrie er.
    »Sind zwei tote Männer nicht Beweis genug? Keiner, der je diese Höhlen betreten hat, ist zurückgekommen, Del! Keiner! Bisher haben wir geglaubt, daß die Hoger jeden Eindringling getötet hätten, aber ich habe noch keinen zu Gesicht bekommen, seit wir hier herabgestiegen sind!«
    »Trotzdem beweist das nichts«, beharrte Del.
    »Und wer soll es sonst gewesen sein?« schnappte Bernec. »Vielleicht ein Volk von kleinen blinden Männchen, das in diesen Höhlen lebt und Pilze züchtet, wenn es nicht gerade neugierige Eindringlinge umbringt, wie?«
    Del seufzte. »Natürlich nicht«, sagte er, »aber…«
    »Laß ihn, Del«, unterbrach ihn Skar. »Er hat recht. Es ist die einzige Erklärung. Wenn Seshar wirklich von diesem unterirdischen Fluß weiß, dann muß er auf jeden Fall verhindern, daß sein Geheimnis gelüftet wird.«
    Del starrte ihn fassungslos an. »Sag mal — weißt du, was du da behauptest?« fragte er.
    Skar nickte grimmig. »Ich weiß es«, sagte er. »Seshar hat nicht nur sein Volk belogen, sondern auch mich. Ein Grund mehr«, fügte er entschlossen hinzu, »hier herauszukommen.«
    »Worauf warten wir dann noch?« fragte Del. »Gehen wir.«
    »Aber sicher«, nickte Skar. »Am besten gehst du allein vor, und wir kommen etwas später nach. Ich verspreche dir ein anständiges Begräbnis.« Er wurde übergangslos wieder ernst und deutete mit einem Kopfnicken auf die Dunkelheit, die wie eine massive schwarze Wand am Ende des Stollens lauerte. »Wer immer diese Männer getötet hat«, fuhr er fort, »ist noch hier. Und ich kann dir sogar sagen, wo sie uns erwarten werden. Irgendwo dort vorne, an einer Stelle, an der wir vollkommen ohne Deckung und hilflos sind. Zwei oder

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