Enwor 10 - Die verbotenen Inseln
wollte, und hob abwehrend die Hand. »Gib dir keine Mühe, Satai. Ihr belügt mich. Beide. Zumindest verschweigt ihr mir etwas.«
Fast zu seiner eigenen Überraschung fühlte Skar sich nicken. »Das stimmt«, sagte er. »Aber es ist nichts, was dich anginge.
Es hat mit… mit mir zu tun. Nur mit mir. Was Titch über die
Sternengeborenen
und die Ssirhaa erzählt hat, ist die Wahrheit.«
»Ich weiß«, sagte Rowl.
Skar sah überrascht auf. »Du weißt, was —«
»Ich wußte, daß
etwas
passiert«, sagte Rowl. »Nicht
was.
Aber eure Geschichte paßt zu gut zu dem, was hier geschieht, als daß sie völlig erlogen sein könnte. Trotzdem: ich habe dich nicht zurückgerufen, um
darüber
mit dir zu reden.«
»Sondern?«
Rowl zögerte. Sein Blick blieb weiter auf Skar gerichtet, und trotzdem brachte er irgendwie das Kunststück fertig, ihm auszuweichen. Skar hatte das Gefühl, daß es ihm schwer fiel, weiter zu reden.
»Über dich, Satai«, sagte er schließlich.
Skar schwieg.
»Du bist mehr, als du zugibst, Satai«, fuhr Rowl fort, als die erhoffte Reaktion ausblieb. »Ich sehe dich an, und ich sehe einen alten Mann. Einen Satai, der von sich behauptet, nur noch wenige Tage zu leben zu haben, und der ganz so aussieht, als wäre das die Wahrheit. Einen Krüppel. Aber da ist noch mehr. Etwas an dir macht mir angst, Satai, und das verstehe ich nicht. Warum habe ich
Angst
vor dir?«
»Vielleicht, weil ich schlechte Nachrichten bringe«, sagte Skar ausweichend. Er begann sich immer unbehaglicher zu fühlen. Er hatte das Gefühl, aus Glas zu sein. Rowl mußte ihn einfach durchschauen, so mühelos, wie er Titch durchschaut hatte. »Schlechte Nachrichten sind nichts Besonderes für einen Mann wie mich«, antwortete Rowl.
»So schlechte Nachrichten?«
»Du bist nicht der erste, der das Ende der Welt prophezeit.«
Rowl beugte sich in seinem bizarren Sessel vor, legte die Handflächen flach auf den Tisch und starrte Skar durchdringend an.
»Es ist nicht das, was du tust oder sagst, Satai. Es ist das, was du
bist.«
Skar schwieg weiter, denn er spürte, daß es nichts gab, was er sagen konnte. Jedes Wort, gleich welches, hätte Rowls Mißtrauen mehr geschürt. Und Rowl schien auch nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet zu haben, denn nach einigen Sekunden ließ er sich im Sessel zurücksinken, legte den Kopf gegen die wuchtige Lehne aus rissigem Metall und schloß die Augen. Er seufzte tief. »Weißt du, was das hier ist?« fragte er plötzlich.
»Was?«
Rowl machte eine weit ausholende Armbewegung, ohne die Augen zu öffnen. »Dies alles hier. Caran.«
»Nein«, antwortete Skar. »Woher sollte ich? Ich war niemals zuvor hier.«
»Aber du weißt, was es nicht ist.«
»Wofür es die meisten halten«, sagte Skar nickend. »Ein Berg. Höhlen.«
»Ja.« Rowl seufzte, öffnete endlich die Augen und stand wieder auf. Als er an Skars Seite trat, überragte er ihn wieder um mehr als eine Haupteslänge. Und trotzdem schien er etwas von seiner Größe eingebüßt zu haben, auf eine schwer in Worte zu fassende Weise
müder
geworden zu sein. Voller Schrecken begriff Skar, daß es die gleiche, unheimliche Veränderung war, die auch mit Cron vonstatten gegangen war, kurz vor seinem Tod. Längst nicht so heftig, aber spürbar.
Es beginnt auch hier, Bruder. Du bringst den Tod, egal, wo du hingehst.
»Es
ist
ein Berg, Satai«, murmelte Rowl. »Aber er wurde gemacht. Jemand hat ihn gebaut. Jemand hat dieses ungeheuerliche…
Ding
erschaffen, so mühelos, wie wir eine Burg bauen, oder eine Stadt. Ein Ding von der Größe eines Berges, mit Tausenden von Räumen und Meilen über Meilen von Gängen und Fluren. Wir sind viele, Skar. Tausende. Und doch bewohnen wir nur einen kleinen Teil der Höhlen. Weißt du, warum?«
Skar schüttelte stumm den Kopf.
»Weil sie uns angst machen«, sagte Rowl. »Sie schützen uns, aber wir bezahlen einen hohen Preis für diesen Schutz. Höher, als sich die anderen dort draußen vorstellen können. Und es gibt Dinge in diesen Höhlen, die…« Er unterbrach sich, schwieg eine Sekunde und wechselte abrupt das Thema.
»Dieser Turm, in dem ihr auf den Ssirhaa gestoßen seid, Skar
- war er wie dieser?«
Skar wollte antworten, aber plötzlich wurde ihm klar, daß er die Antwort nicht wußte. Er hatte darüber nachgedacht, von dem Moment an, in dem ihm klargeworden war, was Caran
wirklich
war, aber nicht sehr lange und nicht sehr intensiv. Es war, als hätte ihn etwas daran gehindert, länger als
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