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Enwor 11 - Das elfte Buch

Enwor 11 - Das elfte Buch

Titel: Enwor 11 - Das elfte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hallte sein Schrei noch aus der Tiefe empor. Skar verstand überhaupt nicht, wie es dazu hatte kommen können. Etwas rebellierte in ihm angesichts des unsinnigen Todes dieses Mannes, der nichts anderes gewollt hatte, als ihm zu helfen, und sein Herz jagte, als wäre er um sein Leben gerannt; und ganz beiläufig fragte er sich dabei,
wie
tief sich der Abgrund eigentlich in die Tiefe bohrte, dass er immer noch den Todesschrei des Nahrak hörte.
    In diesem Moment verstummte der Schrei, riss einfach von einem Sekundenbruchteil auf den anderen ab. Es war kein Aufprallgeräusch zu hören, einfach überhaupt nichts mehr. Aber es war klar, was mit einem Menschen passierte, der aus so großer Höhe auf eine harte Oberfläche aufschlug: Er wurde zerrissen, vollkommen zerstückelt und die herumfliegenden Teile seines Körpers würden wie Wurfgeschosse durch die Luft sausen, gefolgt von Hirn- und Knochensplittern, und bei dem Gedanken an den bedauernswerten Nahrak spürte Skar, wie sich eine Eiseskälte in seinem Körper ausbreitete.
    Erst nach ein paar weiteren, fassungslosen Herzschlägen begriff er, dass er über den Todessturz den anderen Nahrak vergessen hatte, der noch immer verzweifelt um sein Leben kämpfte.
    Ganz vorsichtig schob er sich an den Rand heran, bemüht, nicht die dräuenden Schatten aus seinem Blickfeld zu bannen, die sich unter ihm auftaten. Es kam ihm vor wie ein entsetzlicher, nicht enden wollender Traum, in dem sich Sekunden zu Stunden dehnten und in dem er nicht verantwortlich war für das, was er tat, kaum mehr als ein stummer Beobachter, der seine Handlungen nicht wirklich kontrollieren konnte — und das, obwohl er mit einem anderen, klar gebliebenen Teil seines Bewusstseins durchaus begriff, dass er etwas Schreckliches getan hatte und im Begriff war noch etwas viel Grausameres zu tun.
    Der Nahrak war erstaunlich. Mühsam, aber effektiv schob er sich Stück für Stück weiter nach oben. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er seine Hand über den Rand hinausschob und sich endgültig aus der Gefahrenzone ziehen würde.
    Skar schob sich ein Stück vor, weit genug, um sein Vorhaben auszuführen, den Plan in die Tat umzusetzen, den etwas Anderes für ihn bereits die ganze Zeit über verfolgt hatte, und trat ihm mit aller Wucht auf die Hand. Der Mann stieß einen erstickten Schrei aus, schaffte es aber immer noch, sich festzuhalten. Skar musste noch zweimal zutreten, bis er endlich losließ und dem anderen in die Tiefe folgte.
    Diesmal war Skar nicht überrascht, wie lange der Schrei des zu Tode stürzenden Nahrak dauerte. Aber er spürte unglaubliches Entsetzen über seine Tat. Ihm war, als wäre er für einen Moment weggetreten, in einen Sekundenschlaf gefallen, um einer vergifeten Eiseskälte Platz zu machen, die sich in seine Seele, in seinen Körper eingeschlichen hatte, um etwas zu tun, was nicht hätte getan werden dürfen. Die innere Qual, das Schuldgefühl, die Selbstanklage und der Geschmack von Schändlichkeit in seinem Mund —auf alles war er gefasst, aber da war noch etwas anderes, ein marterndes Reißen und Zerren, das ihm die Brust zusammenschnürte und die Muskeln verkrampfte, sodass er nur noch schreien wollte, schreien, schreien…
    Ihm wurde übel. In seinem Kopf pochte es und brannte.
    Ihm war, als würde sein Körper zerbröckeln, in Stücke zerfallen. Verdammt, er war tot gewesen, TOT, und nun war er nur wieder zurückgekehrt, um ein Monster zu werden, um Dinge zu tun, die er sich früher nicht einmal in seinen wildesten Rachephantasien erträumt hatte. Er starrte blind vor sich hin und wurde sich der Leere bewusst, die immer mehr zunahm und sich eng um seine Kehle wand und versuchte ihn herunterzuziehen, hinab in den Schlund, in das lockende Nichts, in den Anfang und das Ende einer ganzen Welt, die hier ihren Ursprung genommen hatte und immer wieder ihren Ursprung nehmen würde, um alles zu überfluten, zu überschütten und mit riesigen Flutwellen zu begraben Er sah und hörte nichts mehr. Er starrte. Er starrte aus seiner Leere in eine Leere. Er starrte aus einem Abgrund in einen Abgrund — von einem Ende zu einem Anfang, von seinem Anfang zu seinem Ende.
    Er schob sich vorwärts… langsam. Die Leere nahm zu.
    Der Abgrund vertiefte sich. Sein Mund war wie mit flüssigem Blei ausgegossen. Die kleinste Bewegung tat weh. Er hielt inne. Sein Kopf wirbelte. Seine Hände krallten sich in seine nackten Beine.
    Aber er sprang nicht. Noch nicht.
    Eine neue Plage wand sich

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