Enwor 11 - Das elfte Buch
Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, wo die gischtende Flut verschwand und was sie nährte: Das unterirdische Meer am Boden des Schlunds, diesen Pfuhl sich windender, unvorstellbarer Kreaturen, die einen ganz eigenen Eroberungsfeldzug gestartet hatten, ohne dass die Bewohner Enwors auch nur im Entferntesten die Gefahr ahnten, die von ihnen ausging…
Doch das war nicht das, was ihm im Augenblick Sorge bereitete. Der wenig Vertrauen erweckende
Frarr
verhielt sich durch Kamas spezielle Kontrollmöglichkeit zahm wie ein Schoßhündchen, aber er hatte trotz seiner gewaltigen Schwingen offensichtlich Probleme seine drei Reiter sicher durch die jetzt zunehmenden Luftturbulenzen zu transportieren. Hin und wieder ging ein Ruck durch seinen mächtigen Körper und sie sausten ein Stück in die Tiefe, bevor der Drache seinen Flug wieder stabilisieren konnte. Skar, der bereits früher nicht immer die Gelegenheit hatte ausschlagen können mit einer
Daktyle
zu fliegen, kannte das Verhalten der großen Flugdrachen und wusste, wie unberechenbar sie waren, wenn sie von mehr als einem gewohnten Reiter durch die Lüfe bewegt wurden. Er hatte sich nie ganz mit dieser Art der Fortbewegung anfreunden können, aber er empfand mittlerweile auch kaum mehr als ein leichtes Unbehagen, wenn die Flugechse für ein paar Sekunden von der idealen Flugbahn abwich.
Esanna erging es da wesentlich schlechter. Sie hatte die Hände in die harten Schuppen der Echse gekrallt, die so ineinander griffen, dass dadurch fast so etwas wie natürliche Haltegriffe entstanden, und sie saß so fest eingeklemmt zwischen zwei Höckern, dass sie selbst bei einem abrupten Abkippen zur Seite nicht hätte herunterfallen können.
Zudem hielt sie der hinter ihr sitzende Skar in solch festem Griff umklammert, dass er sie selbst dann nicht hätte loslassen müssen, wenn der Drache plötzlich einen Salto geschlagen hätte.
Doch solch gefährliche Flugmanöver waren nicht zu erwarten. Während der Drache mit schwerfälligen, durch seine ungewohnte Reitlast erschwerten Flugbewegungen sein Gleichgewicht zu halten versuchte, schlug die Anstrengung und Erschöpfung mit unbarmherziger Macht und von einem Moment auf den anderen über Skar zusammen, und es hätte nicht viel gefehlt und er wäre in einen unruhigen Dämmerschlaf gefallen. Der unsichtbare Folterknecht in seinem Geist gestattete es jedoch nicht, dass ihn wohlige Umnachtung umfing; stattdessen hielt eine Unruhe in ihm an, die er normalerweise als überdreht empfunden hätte —was sie letztlich wohl auch war —, die ihm andererseits aber als Nachhall nicht nur der Geschehnisse allgemein, sondern vor allem der monströsen Begegnung mit Kiina erschien. Selbst, nachdem er gesehen hatte, in was sich das mannigfaltige Abbild seiner Tochter verwandelt hatte, glaubte irgendein Teil in ihm immer noch, dass er der über den Abgrund der Zeit verschollenen Kiina gegenübergestanden hatte; so verrückt und sinnlos es auch war.
Die Flugechse machte plötzlich eine scharfe Linkskurve und Skar verstärkte automatisch den Druck, mit dem er Esanna festhielt, während er hinabspähte und die Ursache der Richtungsänderung zu erkennen versuchte. Kama, der immer noch mit einer Selbstverständlichkeit direkt vorne hinter dem Kopf der fliegenden Bestie hockte, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, drehte sich zu ihm herum und schrie ihm etwas zu.
Skar verstand nur die Worte
nicht
und
steuern
und schüttelte den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass er die vom auffrischenden Wind zerrissene Botschaft nicht komplett verstanden hatte.
»Ich ihn nicht mehr lange kann steuern«, rief Kama nochmals.
Eine Bö schlug ihm fast die Worte aus dem Mund. Sie mussten in heftige Aufwinde gekommen sein, denn obwohl der Drache jetzt den Kopf vornüber und ein Stück nach unten gebeugt hatte und offensichtlich tiefer gehen wollte, drückten ihn die Turbulenzen wieder ein Stück nach oben. Esanna stieß einen Schrei aus und krümmte sich in die Schuppen hinein, als fürchtete sie, dass sie jeden Moment abstürzen könnten.
Vollkommen abwegig war diese Vorstellung nicht.
Skar hatte schon oft beobachtet, dass große Flugechsen empfindlicher als Raubvögel auf Aufwinde reagierten und einmal hatte er sogar beobachtet, wie ein mächtiger Staubdrache von einer thermischen Turbulenz an einen Felsen geschmettert wurde; die gigantische Echse hatte dabei ihren Reiter verloren und selbst so schwere Verletzungen bei dem Aufprall davongetragen,
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