Enwor 11 - Das elfte Buch
verschwommen, große finstere Umrisse mit halb aufgelösten Konturen, unwirklich und drohend zugleich. Und auch der Regen, der jetzt fast unmerklich auf sie niederging, war sonderbar: fein wie sprühende Gischt und so warm, dass er seine Berührung kaum spürte, bis er bis auf die Haut durchnässt war. Zusammen mit dem unwirklichen graugrünen Licht gab es ihm fast das Gefühl sich unter Wasser zu befinden statt in den Bergen.
Schließlich zuckte Skar mit den Schultern. »Ich glaube, wir müssen dort lang«, sagte er und deutete irgendwo in das diffuse Nichts. »Und nun komm schon, bevor du Wurzeln schlägst.«
Esanna machte keine Anstalten ihm zu folgen, und als er sich zu ihr umdrehte, strich sie sich gerade eine Strähne ihres nass gewordenen Haars aus dem Gesicht und sah ihn nur schweigend an. Sie hatte sich nur wenige Armlängen von ihm entfernt gegen den Stamm eines alten, bereits abgestorbenen Baumes gelehnt, den nur noch die Gewohnheit an seinem Platz zu halten schien. Trotzdem konnte er ihr Gesicht nicht richtig erkennen. Es war nur ein heller Schemen in dem wogenden Etwas, in dem sich die Wirklichkeit aufzulösen begann.
»Ich weiß nicht, ob ich noch weitergehen kann«, sagte sie hilflos. »Meine Beine… sie fühlen sich… so taub an.«
Skar nickte. Die Müdigkeit schlug wie eine lähmende Woge über ihm zusammen und er spürte, wie aus der Schwäche in seinem Magen so etwas wie Übelkeit wurde —offensichtlich war ihm die Mischung aus Beeren, Wurzeln und Pilzen, die sie vor ihrem Abmarsch gesammelt und verzehrt hatten, nicht besonders gut bekommen. »Das ist schon in Ordnung«, sagte er. »Wir werden hier rasten. Siehst du da drüben den Felsvorhang?«
Esanna folgte der Richtung, die seine ausgestreckte Hand vorgab, und nickte. »Du meinst…«
»Ich meine, wir sammeln jetzt an Blättern und Moos, was wir finden können, und richten uns unter dem Felsvorsprung eine Lagerstatt ein. In ein paar Stunden wird es sowieso dunkel und es ist fraglich, ob wir noch einmal einen so idealen Platz zum Rasten finden.«
»Sollten wir nicht… weitergehen?«, fragte Esanna zweifelnd. »Je weiter wir die Höhle hinter uns lassen, umso besser.«
»Das ist richtig«, gab Skar zu. »Aber wenn wir irgendwann vor Erschöpfung nicht mehr weiterkönnen…«
»Du meinst, wenn ich irgendwann zusammenbreche«, unterbrach ihn Esanna bitter.
»Nein.« Skar schüttelte den Kopf und lächelte leicht. »Ich fürchte, du überschätzt meine Kräfte. Ich bin nicht weniger erschöpft als du — vielleicht sogar noch mehr. Außerdem liegen mir ein paar von Kamas Pilzen ganz schön schwer im Magen. Was ist, wenn ich plötzlich umkippe: Wirst du mich dann weiterschleppen können? Oder lässt du mich dann irgendwo liegen und gehst alleine weiter?«
In dem verwaschenen Etwas, als das er bei der Entfernung ihr Gesicht erkannte, glommen zwei Punkte auf, dort, wo die Augen saßen. »Das sagst du doch nur, um mich zu beruhigen.«
»Ich wünschte, es wäre so«, brummte Skar. »Und nun mach schon. Hilf mir dabei, ein Bett zu bauen. Oder willst du etwa auf dem nassen, kalten Boden schlafen?«
Statt einer Antwort stieß sich Esanna ab und kam zu ihm herüber. Unterwegs bückte sie sich bereits und sammelte so viel Laub auf, wie sie zu tragen vermochte. »Das können wir als Unterbau nehmen«, sagte sie. »Aber wir brauchen noch trockenes Laub, das wir als Oberschicht nehmen und auf das wir uns legen können.«
Während sie das sagte, glomm in ihren Augen ein Feuer, das er nicht zu deuten vermochte. »Ich sehe schon, du machst das nicht zum ersten Mal«, sagte er, während er zu dem Felsvorsprung herüberging und sorgsam nach Schlangen, Echsen oder anderem Getier Ausschau hielt.
»Wir Digger bleiben nicht allzu lange an einem Ort«, erklärte sie. »Wenn wir irgendwo wieder von vorne anfangen, müssen wir uns in den ersten Tagen mit dem Allernötigsten versorgen. Da bleibt nicht viel Zeit, um gleich genug Hütten für alle Dorfbewohner zu bauen.«
»Ein wanderndes Dorf also«, sagte Skar. Er raffte Moos und Blätter zusammen, die im Schutze des Felsvorsprungs so gut wie trocken geblieben waren, und häufe sie auf dem deutlich feuchteren Blätterwerk Esannas auf.
»Das immer weiter wandert — wenn es nicht mit Gewalt daran gehindert wird.« Esannas Stimme klang nun wieder so erstickt, dass Skar sie am liebsten in den Arm genommen hätte, um sie zu trösten. »Oh… verdammt.«
»Was ist?«, fragte Skar alarmiert und sah zu ihr
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