Enwor 11 - Das elfte Buch
verstümmelte Leiche eines Mannes, dessen zerfetztes Satai-Gewand kaum noch als solches erkennbar war, sprachen eine deutliche Sprache. Ob auch Digger an dem Kampf beteiligt waren oder nicht, wollte Skar gar nicht näher überprüfen; die Gewissheit hätte nur Esanna unnötig verstört und sein Verständnis der Zusammenhänge keineswegs verbessert. Obwohl er nun sicher sein konnte, dass die Kämpfe über mehrere Tage verteilt stattgefunden hatten und vielleicht noch jetzt, in diesem Augenblick in ihrer Nähe mit unverminderter Bitterkeit tobten, konnte er sich immer noch nicht richtig zusammenreißen und brachte kaum ein paar einsilbige Worte zustande, als Esanna aufgebracht den grausigen Fund der zweiten Kampfstätte kommentierte.
Es war schließlich sein Instinkt, die hoch entwickelten Sinne des Kriegers, die ihn aufschrecken ließen.
Vor ihnen war irgendetwas.
Er hatte es die ganze Zeit über befürchtet, aber mit einem irrationalen Teil seines Verstandes auch gehofft: Die Stille des Waldes wich Geräuschen, die nur von Menschen und Pferden stammen konnten, die sich irgendwo vor ihnen, nicht weit entfernt, bewegten. Es war kein Waffengeklirr dabei und es war weder das Aufeinanderschlagen von Schwertern noch die Schreie Getroffener zu hören, und doch war Skar mit einem Mal wieder hellwach und gleichzeitig sicher, dass die Geräusche nicht von ein paar harmlosen Bauern oder Reisenden stammten. Er hielt mitten im Schritt inne und warf Esanna einen warnenden Blick zu. »Wir sind nicht mehr alleine«, flüsterte er. »Vor uns ist jemand.«
Esanna nickte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Offensichtlich waren ihre Sinne viel schärfer entwickelt, als Skar vermutet hatte, denn auch sie schien die vielen kleinen Geräusche richtig gedeutet zu haben, die von der Anwesenheit anderer Menschen kündeten, das ferne Huftrampeln, das durch den Wald hallte und so ganz anders klang als das von durchs Unterholz preschendem Wild, und die kaum wahrnehmbaren menschlichen Stimmen, die wie ein ferner, aber keinesfalls fröhlicher Singsang klangen.
»Was ist das?«, fragte sie leise.
Skar hielt den Kopf schräg und lauschte konzentriert. »Es ist kein Kampf, wenn du das meinst. Ich höre nur wenige Geräusche; vielleicht zwei Reiter, die sich leise unterhalten.«
»Quorrl oder Menschen?«, fragte Esanna nervös. »Natürlich Menschen«, sagte Skar rasch, »und sie scheinen sich nicht sehr schnell zu bewegen. Es ist eher so… als wären sie gerade stehen geblieben, vielleicht, um eine Rast einzulegen.«
»Umso besser für uns, dann können wir sie mühelos überraschen«, flüsterte Esanna. »Und nun komm schon und lass uns gehen.«
Skar schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ich werde nachsehen gehen, mit wem wir es zu tun haben. Du wartest solange hier…«
»Ich denke doch gar nicht daran!«
»Still jetzt«, sagte Skar ärgerlich und dennoch so leise, dass Esanna ihn gerade noch verstehen konnte. »Es fehlt noch, dass sie auf uns aufmerksam werden, weil wir hier einen vollkommen nutzlosen Streit führen. Und vergiss nicht: Wo ein paar Menschen sind, können auch noch mehr sein.«
»Und Quorrl«, fügte Esanna aufgebracht hinzu, »und da willst du mich allein hier stehen lassen? Kommt nicht infrage.«
Skar seufzte. Er hatte ganze Armeen befehligt, die blind jedem seiner Befehle gefolgt waren, aber einem jungen Mädchen eine einfache Anweisung zu geben und zu erwarten, dass es sie dann auch noch
befolgte,
war eine ganz andere Sache — das zumindest hatte sich im Lauf der letzten dreihundert Jahre nicht geändert.
»Mach, was du willst«, sagte er schließlich verärgert.
»Aber mach keinen Krach dabei und stör mich nicht.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte er sich durch das Gebüsch, so lautlos und so wenig Spuren verursachend wie eine Raubkatze, die sich an ein Opfer anschleicht. Als er einen Wildpfad erreichte, der auf die Quelle der Geräusche zuführte, kam er zügiger voran, aber gleichzeitig erhöhte sich seine Wachsamkeit, denn gleich musste er die Reiter erreicht haben. Es entging ihm natürlich nicht, dass ihm Esanna folgte, und wenn sie auch nicht über seine Erfahrung verfügte, so musste er doch zugeben, dass sie sich dabei äußerst geschickt verhielt. Der schmale, wohl von Rotwild geschlagene Pfad, dessen Verlauf er folgte, war abschüssig und wurde mit jedem Schritt rutschiger, aber auch gleichzeitig breiter, wodurch er fast schneller vorankam, als ihm lieb war: Nicht nur einmal
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