Enwor 7 - Das schweigende Netz
der stecknadelkopfgroße Lichter wie heruntergefallene Sterne blinzelten — die Feuer der Satai und Veden, die wenige Meilen vor der Burg zum letzten Mal ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Es waren erstaunlich wenige, dachte Skar. Nur ein paar hundert, bei einem Heer von zwanzigtausend Mann und fast doppelt so vielen Tieren.
Wie zum Ausgleich war das andere Ufer des Flusses fast taghell erleuchtet, so gut, daß er trotz der großen Entfernung die einzelnen Gestalten der Quorrl erkennen konnte, die sich dort bewegten.
Als hätte er noch nicht genug Sorgen, fragte er sich, was wohl geschehen würde, morgen, wenn das Heer herankam und auf die vierzigtausend Quorrl-Krieger traf, die dort unten lagerten.
Er verscheuchte den Gedanken.
»Glaubst du wirklich, daß er kommt?«
Skar drehte sich von der Brüstung ab und sah Kiina an. Sie hatten wenig gesprochen in den Stunden, die sie hier oben verbracht hatten; einfach, weil es nichts mehr zu reden gab. Sie wußten beide, daß die Falle bereits zugeschnappt war. Sie konnten nur noch warten. Es dauerte Sekunden, bis Skar klar wurde, was Kiina überhaupt meinte — ihre Frage knüpfte an eine Bemerkung an, die er vor vielleicht einer halben Stunde gemacht hatte; daß er nämlich darauf hoffte, Titch würde erfahren, was hier passiert war, und kommen.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. Und er wußte nicht einmal, ob er
wirklich
auf die Hilfe des Quorrl hoffen sollte. Daß Titch ihm seine geheimsten Gedanken offenbart hatte, mußte nicht unbedingt bedeuten, daß er ihm auch
trauen
konnte. Ganz und gar nicht.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte er noch einmal und fügte hinzu: »Wir könnten fliehen. Der Turm ist hoch, aber es ist nicht unmöglich, an der Wand hinunterzusteigen und die Mauer zu erreichen.«
Kiina überlegte einen Moment. »Für dich«, gab sie zu bedenken. »Für mich schon, Satai. Und du willst auch nicht wirklich fliehen, oder?«
Nein, das wollte er nicht. Er konnte all diese Männer nicht im Stich lassen. Er konnte
Del
nicht im Stich lassen, trotz allem. »Ich habe Angst«, sagte Kiina plötzlich.
Skar wollte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung abtun
- aber dann nahm er sie statt dessen in die Arme und drückte sie behutsam an sich. Sie zitterte ganz leicht, und ihr Atem strich heiß über seinen Hals. »Ich auch«, gestand er. »Aber es gibt nichts, was wir noch tun könnten.«
»Es ist genau wie in Elay«, flüsterte Kiina. »Dort begann es ganz genau so. Freunde wurden zu Feinden, und Mütter bekämpften ihre Töchter.« Sie löste sich aus seiner Umarmung und sah ihm von unten her ins Gesicht. Wieder fiel Skar auf, wie ähnlich sie ihrer Mutter war; und nicht nur äußerlich. Sie hatte Angst, sie war fast wahnsinnig vor Angst, aber trotzdem war sie stark. Ganz egal, was geschah, dieses Mädchen würde nicht aufgeben. »Aber dort gab es keinen, der uns hätte warnen können«, fügte sie nach kurzer Pause hinzu.
»Es hätte nichts genutzt«, antwortete Skar traurig. »Du hast Del erlebt.«
»Das habe ich.« Kiina nickte. »Ich verstehe nicht, wie ihr einmal Freunde gewesen sein könnt, Skar.«
»Wir sind es noch«, erwiderte Skar. »Das war nicht Del, der uns gefangengenommen hat, Kindchen. Er ist nicht verantwortlich für das, was er tut. Es ist dieser Ort. Etwas hier will nicht, daß wir gehen.«
»Es ist wie ein Spinnennetz«, verglich Kiina. »Du kannst strampeln, so sehr du willst, aber du verstrickst dich immer tiefer in seine Maschen. Ich habe Angst.«
Skar lächelte. »Uns wird nichts geschehen«, beruhigte er sie. »Heute noch nicht.« Er deutete auf die Lichtpunkte des Satai-Heeres weit draußen in der Ebene. »Es will
sie.
Es wird warten, bis sie alle hier sind.«
»Und wenn nicht?«
»Wer immer diese Falle aufgebaut hat, wäre ziemlich dumm, sie jetzt schon zuschnappen zu lassen«, erwiderte Skar überzeugt. »Wir sind nur fünfhundert, hier in der Burg. Ein Nichts gegen das Heer dort draußen. Nein —« Er schüttelte noch einmal und sehr überzeugt den Kopf. »- noch sind wir sicher. Und wenn ich hier heraus könnte, dann könnte ich vielleicht sogar etwas tun. Ich weiß nur nicht genau, was«, fügte er mit einem verlegenen Lächeln hinzu. »Vielleicht die Burg anzünden.«
Tatsächlich hatte er kurz mit diesem Gedanken gespielt. Es war irgendwo hier drinnen, vielleicht überall, und es würde ihnen nichts mehr antun können, sobald sie die Burg verlassen hatten. Aber die Festung war einfach zu groß, als daß ein
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