Enwor 7 - Das schweigende Netz
Lächeln auf seinen Zügen erlosch nicht. »Ihr habt verloren, Satai«, fuhr er fort. »Niemand kann uns besiegen. Ihr hattet schon verloren, bevor ihr angefangen habt, gegen uns zu kämpfen.«
»Was ist das?« wimmerte Torian. Del hatte ihn losgelassen, aber er rührte sich trotzdem nicht von der Stelle. Aus hervorquellenden Augen starrte er auf das grobmaschige, schwarze Netzgewebe, das Jamaßens Körper unter dem Gewand fast zur Gänze einhüllte. Hier und da waren die dünnen pulsierenden Fäden in seine Haut eingedrungen. Dunkelbraun verschorftes Blut bedeckte seine Brust. Jamaß' Blick wandte sich ihm zu, und plötzlich geschah etwas Entsetzliches: Jegliches Menschsein in seinen Augen erlosch. Sein Gesicht wurde zu einer verzerrten, abstoßenden Fratze, und etwas Schwarzes, Dünnes wie Hunderte beweglicher Spinnenbeine begann aus seinem Haar und seinem Kragen zu kriechen und es einzuhüllen. Ein grauenhafter, durch und durch
unmenschlicher
Ton drang aus seiner Brust, ein Laut, wie ihn Skar noch nie zuvor gehört hatte. Langsam, unendlich langsam, wie es Skar schien, hob er die Arme und deutete mit den gespreizten Fingern auf Skar und Torian.
»Zurück!«
schrie Del mit überschnappender Stimme.
»Raus hier!«
Gleichzeitig warf er sich vor, riß Skar einfach mit sich zu Boden und rollte zwei-, drei-, viermal herum. Skar sah aus den Augenwinkeln heraus, wie Jamaß' Finger sich aufzublähen begannen wie ein zu sehr gefüllter Wasserschlauch und dann platzten. Etwas streifte sein Bein, versuchte sich daran festzuhalten und fiel ab, als Del ihn auf die Füße und zurück zerrte.
Torian hatte weniger Glück. Er stand wie erstarrt da und starrte das
Etwas
an, in das sich Jamaß verwandelt hatte, und er machte nicht einmal einen Versuch zu entkommen. Ein Wust schwarzer, peitschender Fäden schoß aus Jamaßens geborstenen Fingern, hüllte sein Gesicht und seine Brust ein und wickelte sich wie ein Netz um seine halb erhobenen Arme. Torian begann zu schreien und um sich zu schlagen, aber gegen das entsetzliche
Ding
in Jamaß hatte er keine Chance. Der
Älteste
torkelte auf ihn zu, wie eine betrunkene Puppe hin und her wankend, dabei eine Spur aus Blut und schwarzem Schleim hinter sich herziehend, erreichte den wild um sich Fuchtelnden und umfing ihn mit tödlicher Umarmung. Torians Schreie wurden spitzer und hatten jetzt kaum mehr etwas Menschliches an sich.
»Helft mir!«
kreischte er.
»Bei allen Göttern, Satai — so helft mir doch!!«
Skar machte eine Bewegung auf ihn zu, aber Del hielt ihn zurück. Langsam, mit zitternden Händen und weit aufgerissenen, fast glasigen Augen zog er den Dolch aus dem Gürtel, holte aus und schleuderte die Waffe mit aller Kraft. Der Vede bäumte sich noch einmal auf, als der Dolch in seinen Nacken drang, und erschlaffe dann plötzlich in Jamaß' Armen.
Skar schloß stöhnend die Augen. Er wußte, daß Del das einzig Mögliche getan hatte — Torian war verloren gewesen, im gleichen Moment, in dem ihn das Netz berührte, und alles, was ihm noch bevorgestanden hatte, wären ein Leben als willenlose Puppe und ein langer und vermutlich qualvoller Tod gewesen. Dels Messerwurf war im Grunde nichts anderes als barmherzig — so weit der Tod eines Menschen
überhaupt
barmherzig sein konnte.
Aber das änderte nichts daran, daß sich Skar für einen Moment so elend fühlte, als hätte er selbst dem Veden die Kehle durchgeschnitten.
Erst als Del ihn schmerzhaft am Arm packte, fuhr er wieder hoch und begriff, daß noch lange nicht alles vorbei war. Ganz im Gegenteil — Del und er befanden sich in höchster Gefahr.
Jamaß war von Torians zusammenbrechendem Körper zu Boden gerissen worden, starrte ihn und Del aber weiter voller Haß an. Helle, jaulende Laute kamen aus dem zerfransten Loch, in das sich sein Mund verwandelt hatte, und urplötzlich löste sich einer der dünnen Fäden von seinem Arm, schoß mit einem peitschenden Laut auf Del zu und verfehlte ihn nur um Zentimeter, um mit einem hellen Klatschen gegen die Wand zu prallen. Aber er fiel nicht herab, sondern fraß sich an dem rauhen Stein fest, und sogleich zuckten ein zweiter und dritter und vierter dünner schwarzer Spinnfaden aus Jamaßens auseinanderbrechendem Körper, jagten auf die Wand und die Decke zu und saugten sich fest. Binnen weniger Augenblicke verwandelte sich der Bereich vor der Tür in ein schwarzes, pulsierendes Netz, wie das Netz einer ungeheuerlichen Spinne, in deren Mitte Jamaß und der tote Vede
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