Enwor 7 - Das schweigende Netz
jetzt ein Meer schwarzer glitzernder Schlangen, aus denen stachelbewehrte Arme nach ihnen schlugen.
Skar fuhr verzweifelt herum und blieb abermals stehen. Es gab auch hinter ihm keinen Weg mehr. Das Netz war überall, bedeckte die Mauerkrone von einem Ende zum anderen und wuchs noch immer. Die wenigen noch freigebliebenen Stellen schmolzen rasend schnell zusammen und machten einem finsteren, zitternden Teppich Platz, aus dem nur noch hier und da der halb eingesponnene Körper eines Satai oder Veden ragte. Da und dort war das Gewebe bereits so dicht geworden, daß es eine kompakte Masse zu bilden schien; fürchterliche Kokons, die ihre Opfer einschlossen, wie sie es bei Bradburn gesehen hatten. Etwas wie eine schwarze beinlose Spinne floß und wabbelte auf ihn zu und bildete plötzlich dünne peitschende Ärmchen aus, die nach seinen Füßen griffen. Etwas zupfte an seinem Mantel. Skar fuhr entsetzt herum, schlug blindwütig nach dem fast armdicken schwarzen Strunk, der ihn von hinten zu ergreifen versucht hatte, sah sich eine halbe Sekunde lang mit wachsender Verzweiflung um — und war mit einem Satz bei der Mauer.
Ohne auf das schwarze Gespinst zu achten, das sich um seine Füße zu schlingen versuchte, packte er die Sturmleiter, die von außen dagegengelehnt war, schwang sich mit dem Mut der Verzweiflung zwischen den Zinnen hindurch und schien für einen grauenhaften, endlosen Augenblick im Leeren zu schweben, ehe seine pendelnden Füße Halt auf der obersten Sprosse fanden.
Eine schwarze Peitschenschnur zuckte über die Mauer, wickelte sich um die Leiter und begann, ihm nachzukriechen. Panikerfüllt kletterte er los, überwand zwei, drei der nicht für Menschen gemachten, viel zu weit auseinanderstehenden Sprossen und be-gegnete dem Blick eines total verblüfften Quorrl, der von unten die Leiter hinaufgestiegen kam und sich wahrscheinlich vergeblich fragte, ob dies eine neue Art der Verteidigung war — oder einfach nur ein Verrückter.
Skar gab ihm keine Zeit, eine Antwort auf diese Frage zu finden, sondern trat ihm so heftig auf die Finger, daß er mit einem Schmerzensschrei losließ und plötzlich nur noch an einer Hand hing, vierzig Meter über den Köpfen seiner Kameraden, die durch das offenstehende Tor in die Burg und den sicheren Tod stürmten.
Skar sah nach oben. Das Netz war ihm nachgekrochen, aber seine Bewegungen verlangsamten sich zusehends. Dann geschah etwas Seltsames: Für einen Moment erstarrte das schwarze Gespinst — und begann, sich ganz langsam zurückzuziehen.
Trotzdem war er damit keineswegs außer Gefahr. Der Quorrl unter ihm brüllte vor Wut und Angst, angelte mit ungeschickten Bewegungen nach der Leitersprosse und bekam sie endlich wieder zu fassen. Skar trat ihm erneut auf die Finger, und wieder hing der Krieger nur an einer Hand über dem Nichts. Aber er konnte das Spielchen nicht ewig fortsetzen. Hinter dem ersten Quorrl kletterten weitere Schuppenkrieger die Leiter hinauf, und seine aberwitzige Flucht über die Mauer war nicht unentdeckt geblieben — kaum zehn Meter neben ihm hielt ein anderer Quorrl auf einer Leiter inne, lehnte sich gegen die Mauer und begann, einen Bogen vom Rücken zu lösen.
Skars Gedanken überschlugen sich. Er hatte nur noch Sekunden, so oder so, und die Wand links von ihm war voller Quorrl, welche die Mauerkrone schon fast erreicht hatten. Unter ihm —beunruhigend
dicht
unter ihm — war eine große Anzahl Quorrl dabei, einfach an der Mauer hinaufzuklettern. Verzweifelt drehte er sich herum. Auf der anderen Seite gab es keine Leitern, und der Turm war nur zwanzig Manneslängen entfernt.
Wäre ihm Zeit geblieben, über diesen wahnwitzigen Einfall nachzudenken, hätte er sich möglicherweise eher die Hände abhacken lassen, ehe er es auch nur versuchte, aber er
hatte
keine Zeit, und wahrscheinlich rettete ihm dieser Umstand das Leben. Skar trat dem Quorrl, der endlich wieder Halt gefunden hatte, zur Abwechslung auf die andere Hand, verschwendete sogar noch eine halbe Sekunde daran, ihm ein schadenfrohes Grinsen zuzuwerfen — und löste vorsichtig die rechte Hand und den rechten Fuß von der Leiter. Seine Finger tasteten über rauhes, rissiges Gestein, verkrallten sich in den daumenbreiten Fugen und natürlichen Vertiefungen und klammerten sich fest.
Skar raffte allen Mut und alle Kraft zusammen, die er noch in sich spürte, löste auch die andere Hand und den linken Fuß von der Leitersprosse und hielt sich in verzweifelter Anstrengung an
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