Enwor 7 - Das schweigende Netz
uns wehren!
Es lebt von unserer Furcht!«
Del starrte ihn an. Aber er begriff nicht. Er hatte den Hund gesehen, der dem Parasiten zum Opfer gefallen war, nachdem er getötet hatte, er hatte Jamaß erlebt, den das Netz vernichtete, nachdem er eingesehen hatte, daß seine Lage aussichtslos war, aber er begriff noch immer nicht, was das alles wirklich bedeutete.
»Skar!« beschwor er ihn. »Komm zu dir. Du —«
»Ich war noch nie so sehr bei mir wie jetzt!« brüllte Skar. »Versteh doch! Wir machen es nur stärker, mit unserem Kampf! Es ist genau, wie Kiina sagte! Dasselbe wie in Elay! Wir füttern dieses Ungeheuer, mit jedem Toten, den dieser Kampf fordert!« Auf der anderen Seite der Mauer erscholl ein mißtönendes Posaunensignal, und aus dem teils fragenden, teils besorgten Ausdruck auf Dels Gesicht wurden wieder die harten Züge eines Kriegers. Auch Skar fuhr herum und sah, wie sich das Quorrl-Heer draußen vor der Burg wieder in Bewegung setzte.
Etwas geschah. Skar sollte sich nie darüber klar werden, ob er es gewesen war, der das letzte Tor aufstieß, indem er ihren wirklichen Feind erkannte und ihn zum Handeln zwang, ehe er die Wahrheit aussprechen konnte, oder ob er es einfach spürte, Sekunden vor den anderen Männern — aber plötzlich war es, als könne er die Gefühle all dieser Hunderter und Aberhunderter Krieger spüren, die mit ihnen auf die Mauer gekommen waren. Er fühlte, wie etwas umschlug, wie aus der Angst und Mutlosigkeit noch einmal Zorn wurde, Trotz und Entschlossenheit, so lange Widerstand zu leisten, wie es ging, wie das plötzlich gar keine Angst mehr, keine Furcht war, sondern nur noch Haß, brennender, allesverschlingender
Haß,
der den Quorrl dort draußen galt und nichts Rationales mehr an sich hatte.
Und er spürte, wie
etwas
aus der Burg herausgriff und den Haß und die Angst dieser Männer aufsaugte wie ein Vampir das Blut seines Opfers, etwas Unsichtbares, unendlich Altes, unendlich Finsteres, unendlich Starkes. Er fühlte sich wie im Inneren einer Blase eingeschlossen, die sich unerbittlich zusammenzog. »Nein!« keuchte er. »Tut es nicht!«
Del starrte ihn verblüfft an, aber er schien im allerletzten Moment zu ahnen, was er vorhatte, denn er versuchte, ihn noch zurückzuhalten, aber die Angst gab Skar übermenschliche Kräfte. Er schleuderte Del zur Seite, war mit einem Satz bei der Mauer und stieß die beiden Männer zur Seite, die vor ihm standen. Er beugte sich über die Zinnen hinaus und blickte hinab zu dem heranstürmenden Quorrl-Heer. Eine riesige, ganz in Gold und Rot gehüllte Gestalt führte den Ansturm der Schuppenkrieger.
»Nein!«
brüllte er, so laut er konnte.
»Titch, tu es nicht!
Wir
dürfen nicht mehr kämpfen! Es ist das Netz! Es wird uns alle vernichten, wenn ihr
—«
Eine Hand packte ihn an der Schulter und riß ihn grob zurück, dann traf ihn der Schlag einer flachen Hand ins Gesicht und schleuderte ihn zu Boden. Wie durch einen blutigen wogenden Schleier erkannte er Dels Gesicht, den unmenschlichen Zorn, der in seinen Augen flammte.
»Bist du wahnsinnig geworden?« schrie Del. Unter ihren Füßen erbebte die Mauer unter dem Anprall der Quorrl, und ein tiefer, knirschender Laut, der von einem Chor triumphierenden Gegröls gefolgt wurde, verriet Skar, daß das Tor schon beim ersten wuchtigen Schlag der Ramme nachgegeben hatte. Aber Del schien es gar nicht zu hören. Wieder packte er Skar, zerrte ihn in die Höhe und holte aus, als wolle er ihn abermals schlagen, versetzte ihm dann aber nur einen Stoß, der ihn zurück und in die Arme zweier Krieger taumeln ließ.
»Haltet ihn fest!« befahl er hart. »Bindet ihn, und dann bringt ihn weg. Er ist wahnsinnig geworden!«
»Nein!« brüllte Skar. Verzweifelt bäumte er sich gegen den Griff der harten Fäuste auf, aber seine Kraft reichte jetzt nicht mehr, ihn zu sprengen. »Del, versteh doch! Wir tun ganz genau, was sie von uns wollen!«
Aber Del hörte gar nicht mehr zu. Mit einer wütenden Bewegung schloß er das Visier seines Helmes, packte sein Schwert mit beiden Händen und war mit einem Satz bei der Mauerkrone, über der bereits die ersten Sturmleitern und —balken auftauchten. Skar wehrte sich mit aller Kraft, aber die beiden Krieger wußten, wie sie seiner Herr werden konnten. Er bekam einen Tritt in die Kniekehlen, der ihn abermals zu Boden sinken ließ, dann wurden seine Arme nach hinten gedreht, und einer der beiden Männer löste seinen Gürtel, um Skar mit dem schmalen
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