Enwor 7 - Das schweigende Netz
zu verlassen, und wandte sich dann ebenfalls um.
»Überanstrengt sie nicht«, riet er ihnen im Gehen, und so leise, daß das Mädchen die Worte nicht verstehen konnte. »Sie ist völlig erschöpft. Und sehr verwirrt.«
Del nickte knapp und wartete, bis sie allein waren. Dann versuchte er, sein Gesicht zu so etwas wie einem Lächeln zu zwingen, und trat mit zwei raschen Schritten an das Lager heran. Skar folgte ihm, etwas langsamer und in einigem Abstand.
Er erkannte das Mädchen kaum wieder. Bradburn hatte die Wunden verbunden und eine übelriechende, graue Salbe auf die Verbrennungen an Hals und Schulter aufgetragen, und jemand hatte ihm das Haar geschnitten, so daß es jetzt nur noch bis zu den Schultern reichte. Es sah jünger aus als am Morgen, als er es auf dem Rücken der Echse erblickt hatte, und sehr viel knabenhafter. Ein Kind.
Das Mädchen schaute einen Moment lang aufmerksam zu Del hoch — es schien sehr müde zu sein, aber sein Blick war klar und vollkommen wach —, drehte dann den Kopf und sah Skar an.
»Bist du Skar?«
Skar nickte automatisch. Er war überrascht, und auch Del blickte verwirrt auf, trat dann aber wortlos zurück, damit Skar seinen Platz einnehmen konnte.
»Das bin ich«, bestätigte Skar, nachdem er es getan hatte.
»Woher kennst du mich?«
»Ein Mann mit einer Narbe im Gesicht und brennenden Augen«, antwortete das Mädchen. »Die Beschreibung paßt.«
»Oh.« Skar hob ganz unbewußt die Hand und berührte die dünne weiße Linie, welche die linke Seite seines Gesichtes in zwei ungleichmäßige Hälften teilte. Er hatte diese Narbe schon so lange, daß er sie manchmal vergaß, obwohl sie es war, die ihm seinen Namen gegeben hatte. »Beschreibt man mich so?«
»Man
nicht«, gab das Mädchen zur Antwort. »Meine Mutter.
Sie hat mich hierhergeschickt. Zu dir. Ich bin Kiina.«
Diesmal war Skar mehr als nur ein wenig überrascht.
»Kiina?
Du bist —«
»Gowennas Tochter, ja.«
»Die Tochter der
Margoi?«
fragte Del ungläubig. »Aber das kann nicht sein.
Errish
bekommen keine Kinder.«
»Manche schon«, berichtigte Kiina ruhig. »Sonst wäre ich nicht hier, oder?« Sie lachte ganz leise, versuchte sich aufzurichten und schüttelte heftig den Kopf, als Skar ihr helfen wollte.
Skar unterdrückte ein Lächeln. Zumindest die Sturheit schien sie von ihrer Mutter geerbt zu haben —
wenn
sie diejenige war, die zu sein sie vorgab. Aber irgendwie glaubte er ihr. Er sah Del an, ehe er weitersprach, aber er las auch in den Augen des anderen nur Verwirrung.
»Deine Mutter hat dich also geschickt«, fuhr er fort. »Zu mir?« Kiina nickte und schüttelte fast in der gleichen Bewegung den Kopf. »Ja«, sagte sie, »und nein. Meine Mutter ist tot, schon seit drei Jahren. Aber sie hat oft von dir gesprochen. Du mußt sie ziemlich beeindruckt haben, Satai.« Sie maß Skar mit einem sehr langen, abschätzenden Blick; einem Blick von so unverschämt taxierender Art, wie ihn nur Kinder zustande bringen. Skar korrigierte seine Schätzung um ein paar Jahre nach unten, was ihr Alter betraf. »Ich verstehe zwar nicht ganz, wieso, aber...«
»Sie ist tot?« Skar erschrak erst mit einiger Verspätung; vielleicht, weil er in letzter Zeit vom Tode so vieler gehört hatte, daß er es schon fast erwartete. »Gowenna ist tot, behauptest du?«
»Sie starb am Fieber«, antwortete Kiina. In ihrer Stimme war nicht die mindeste Spur von Trauer oder Mitgefühl.
»Errish
werden nicht sehr alt, wußtest du das nicht? Das Leben mit den Drachen läßt sie ausbrennen.« Sie sah ihn aus sehr großen, dunklen Augen an. »Es ist also wahr.«
Skar vermochte dem plötzlichen Gedankensprung nicht zu folgen; und er versuchte es auch gar nicht. Die Nachricht von Gowennas Tod erschütterte ihn, jetzt, nachdem er sie
wirklich
wahrgenommen hatte. Er hatte bisher nicht einmal an die Ehrwürdige Mutter der
Errish
gedacht, aber irgendwie hatte er ganz automatisch unterstellt, daß sie noch lebte; so, wie er nach seinem Erwachen im Tempel der Gesichtslosen Priester ohnehin geglaubt hatte, daß alles unverändert sei. Aber das stimmte nicht.
Alles
war anders geworden, nicht nur er. Zwanzig Jahre gingen nicht so einfach an einer Welt vorüber, ohne daß die Dinge sich änderten.
»Du kommst aus Elay?« erkundigte sich Del, als Skar keinerlei Anstalten machte, dem Mädchen irgendeine Frage zu stellen, sondern sie nur weiter anstarrte.
»Aus dem Drachenland«, wich Kiina aus, womit sie seine Frage nicht direkt
Weitere Kostenlose Bücher