Enwor 7 - Das schweigende Netz
haben, erst in einer Stadt hier und einer Festung da, dann in einem kleinen Land, dann...« Er schwieg einen Moment und ballte die Fäuste, als wäre ihm allein die Erinnerung schon unerträglich. »Wenn du gehen willst«, fuhr er schließlich fort, »dann reite nach Ikne. Geh nach Ikne oder Denwar oder Orkala oder in eine der anderen großen Städte und sieh dir an, was sie den Menschen dort angetan haben. Enwor war einmal frei. O ja, es war eine wilde Welt, eine, die dich schneller umbringen konnte, als du dir träumen läßt, aber sie war
frei,
Skar. Heute sind Besh-Ikne und die Länder, über welche die Zauberpriester herrschen, ein einziges Sklavenlager. Wir hatten keine Wahl. Glaubst du, es war
meine
Entscheidung?« Er sprang auf, versetzte seinem Stuhl einen wütenden Tritt und riß den schwarzen Umhang von seiner Schulter.
»Glaubst du, ich habe dieses Ding hier gewollt?« fragte er aufgebracht. »O nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich mußte es nehmen. Ich mußte es nehmen, um Enwor zu retten. Um die Satai zu retten, Skar.« Er beugte sich erregt vor, stützte die Hände auf der Tischplatte ab und fuhr, fast schreiend, fort: »Sie hätten nicht an der Küste Halt gemacht. Früher oder später hätten sie uns vernichtet, so, wie sie wahrscheinlich schon die
Errish
vernichtet haben.«
»Und deshalb habt ihr euch zu einem Heer zusammengetan?«
Das Wort ihr erschreckte ihn selbst, denn es verdeutlichte mehr als alles andere, daß ei sich nicht einmal mehr mit den Männern in den schwarzen Mänteln der Satai identifizierte.
»Nein«, antwortete Del. »Oder ja, auch. Sicherlich.« Er seufzte, richtete sich wieder auf und begann, unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Er wirkte verstört, und Skar begriff, daß er der Wahrheit näher gekommen war, als Del wahrhaben wollte. »Natürlich auch deshalb«, wiederholte Del noch einmal, und ohne ihn anzusehen. »Jedermann hat das Recht, um sein Überleben zu kämpfen, oder? Aber es war nicht der Hauptgrund.
Ich... war dabei, als die Entscheidung fiel, Skar. Ich war auf dem Berg der Götter. Glaube mir, wir hatten keine andere Wahl.« »Und diese... diese Söldner?« Skar gab sich nicht einmal Mühe, die Verachtung zu verhehlen, die er für die Männer empfand, die er hierher geführt hatte. Sein Gewissen meldete sich heftig zu Wort, denn schließlich waren sie es, die diese Burg für sie zurückerobert hatten, und trotzdem. Er verachtete sie, weil sie die Silbersterne der Satai trugen, das heilige Zeichen, das niemand,
niemand!
freveln durfte. Wäre es anders gewesen, hätten sie sich als das zu ihnen gesellt, was sie waren, nämlich bezahlte Krieger oder einfach nur Männer, die um die Freiheit ihres Landes kämpften, hätte er sich mit seinem Leben für jeden einzelnen von ihnen eingesetzt. So nicht.
»Was sollten wir tun?« fragte Del voller Wut. »Ein halbes Dutzend Männer losschicken und mit ihnen einen Krieg gewinnen?«
»Aber —«
»Verdammt, Skar, was glaubst du, wie viele Satai es noch gibt?«
brüllte Del plötzlich. Sein Gesicht flammte vor Zorn und Schmerz. »Sie haben uns gejagt wie die Tiere! Sie haben uns abgeschlachtet, in den Jahren, in denen du fort warst. Sie haben Geldpreise auf unsere Köpfe gesetzt und uns für vogelfrei erklärt. Ich bin nicht aus Langeweile zu den Verbotenen Inseln gegangen, ich bin dorthin
geflohen!
Und ich war einer der letzten, dem es gelang«, fügte er etwas leiser hinzu.
Skar war erschüttert. In all den Wochen, die er jetzt zurück war, hatte Del nicht ein Wort von alledem erwähnt; weder er noch einer der anderen Satai oder Quorrl, mit denen er gesprochen hatte. Er versuchte sich vorzustellen, was Del ihm gerade erzählt hatte, aber es gelang ihm nicht.
»Wie viele?« fragte er mühsam. Seine Zunge war plötzlich trocken und weigerte sich fast, ihm zu gehorchen. Sein Herz hämmerte. »Wie viele von uns gibt es noch?«
»Ich weiß es nicht«, räumte Del düster ein. »Fünfzig, hundert, vielleicht auch nur noch dich und mich. Wir waren niemals viele, aber jetzt sind wir...« Er breitete in einer hilflosen Geste die Hände aus. »Nichts mehr. Diese Männer dort draußen, dieses riesige Heer, das in wenigen Tagen zu uns stoßen wird, und diejenigen, welche Denwar und Kohon besetzt halten — du hast recht. Sie sind keine Satai. Es sind ... Krieger. Söldner. Einfache Männer, die unserem Ruf folgten, und ja, verdammt noch mal, auch eine Menge Raufbolde und Gesindel, die der Verlockung nicht widerstehen konnten.
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