Enwor 8 - Der flüsternde Turm
einen lebenden Schutzschild vor sich.
Skar zögerte, nur den Bruchteil einer Sekunde, aber schon diese winzige Zeitspanne war zu viel: Zwei, drei
Errish
sprangen ihn an, und die pure Wucht ihres Angriffes ließ Skar taumeln. Er befreite sich mit zwei, drei harten Stößen, aber die winzige Ablenkung hatte genügt. Plötzlich wuchs der Schatten des vierten
Ultha
vor ihm empor. Eine unmenschlich starke Hand packte seinen Arm und verdrehte ihn. Skar schrie auf, taumelte zurück und ließ das Schwert fallen. Verzweifelt drehte er den Kopf, als sich die schreckliche Insektenklaue des
Ultha
seinem Gesicht näherte.
»NEIN!«
Yuls Schrei war so schrill und so voller Panik, daß er fast in den Ohren schmerzte. Aber das Wunder geschah: Die tödliche Klaue des
Ultha
verharrte mitten in der Bewegung, nur noch Zentimeter von Skars Augen entfernt.
»Töte ihn nicht«, sagte Yul. Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen waren weit vor Angst.
Wieder ertönte dieses helle, peitschende Geräusch, und plötzlich senkte sich ein ganzer Hagel von Pfeilen auf den Platz herab. Skar sah schattenhafte Bewegung auf den Felsen, die das Lager umgaben, und plötzlich schrie eine der tanzenden
Errish
auf und brach mit einem Pfeil im Rücken zusammen. Die anderen führten ihren Tanz unbeeindruckt fort, und Skar begriff erst jetzt, daß keine von ihnen bisher auch nur Notiz von dem Angriff genommen hatte, obgleich seit dem ersten Schuß fast eine halbe Minute vergangen sein mußte. Auch die
Ultha,
die an der sonderbaren Zeremonie teilnahmen, standen noch immer reglos und wie gelähmt da, ebenso tief und unaufweckbar in Trance versunken wie Yuls Mädchen.
»Das sind deine verdammten Quorrl-Freunde!« schrie Anschi plötzlich. Erregt deutete sie auf einen der Schatten, die über dem Lager erschienen waren, ein dunkler, monströser Umriß, ebenso groß wie die
Ultha,
aber ungleich massiger. »Ich hätte sie alle umbringen sollen!«
»Skar tu etwas!«
schrie Yul.
»Sie dürfen nicht herkommen! Etwas Entsetzliches wird geschehen, wenn
—«
Aber es geschah bereits. Yuls Worte gingen in einem urgewalti-gen Kampfschrei aus drei Dutzend rauher Kehlen unter, als Titchs Krieger wie eine lebende Lawine zwischen den Schatten der Hütten hervorquollen. Ein ganzer Hagel von Pfeilen und Wurfgeschossen prasselte auf die
Errish
nieder. Drei, vier der schlanken Gestalten gingen getroffen zu Boden, und plötzlich zerbrach das komplizierte Muster aus tanzenden, sich wiegenden Körpern. Anschi schrie vor Zorn und Schrecken. Ihre Hand fiel auf den Gürtel hinab, aber er war leer. Sie war unbewaffnet, so, wie sie hier herausgekommen war, um zu tun, was immer die
Errish
hier taten. Und mit einem Male begriff Skar, daß sie
alle
unbewaffnet waren. Was hier gleich geschehen würde, das war nicht die Fortsetzung der Schlacht vom vergangenen Abend — es war ein Massaker, das die Quorrl unter den wehrlosen
Errish
anrichten würden!
Aber es kam anders; völlig anders.
Die schwarze Klaue, die Skars Handgelenk umklammert hatte, löste sich plötzlich. Der
Ultha
fuhr herum, seine Zangen öffneten sich, und aus seinem dreieckigen Insektenmaul drang ein fürchterliches, zischendes Geräusch. Mit einer Bewegung, der Skar kaum noch mit den Augen zu folgen vermochte, wirbelte der
Ultha
herum und warf sich den Quorrl entgegen.
Und nicht nur er.
Auch das Monstrum, das Kiina gehalten hatte, ließ seinen lebenden Schutzschild einfach fallen und warf sich den Angreifern entgegen, ebenso wie die fünf oder sechs übrigen
Ultha,
die zwischen den
Errish
gestanden hatten.
Es war ein bizarrer, unwirklicher Kampf. Skar hatte niemals zuvor erlebt, daß ein Quorrl auf einen Gegner gestoßen war, der ihm waffenlos überlegen gewesen wäre — aber die
Ultha
waren es. Das knappe halbe Dutzend schwarzer hornglänzender Gestalten wirkte fast lächerlich gegen die Lawine aus schuppigen Panzerplatten und Stahl, der es sich entgegenwarf, aber dieser Eindruck zerbrach im gleichen Moment, in dem die beiden ungleichen Heere aufeinanderprallten.
Und es war kein Kampf, es war...
Skar suchte vergeblich nach Worten, um das grauenerregende Gemetzel zu beschreiben, das sich vor ihnen abspielte. Es war kein Kampf mehr, sondern das Wüten zweier Völker, die seit Urzeiten Feinde waren, die es immer gewesen waren und es immer sein würden, ganz gleich, was geschah und wieviel Zeit verging, ein blindwütiges Töten und Vernichten, das keinem anderen Zweck diente, als den Gegner auszulöschen.
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