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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Männer zwischen den Hallen auf und einen Augenblick lang schlug mir das Herz bis zum Hals vor Hoffnung: Yuso und Ryko! Doch diese Gestalten waren schlaff und weich. Zwei Eunuchen. Die beiden verneigten sich tief.
    »He«, rief Haio. »Ist mein Bruder noch beim Essen?«
    »Jawohl, Eure Lordschaft«, erwiderte der Ältere und verbeugte sich noch tiefer.
    Wir erklommen die Marmorstufen zu den vergoldeten Flügeltüren der Festhalle und die Wachsoldaten links und rechts salutierten und öffneten sie für uns. Ich betastete mein Gesicht und spürte das weiche Kreidepulver über der weißen Schminke. Großlord Sethon war Lord Eon nur einmal begegnet, während des Triumphzugs, bei dem mein Meister vergiftet worden war. Ich hatte mich vor dem Großlord in den Staub geworfen und um Hilfe gefleht. Das war noch nicht lange her. Ob er sich meine Züge so gut eingeprägt hatte, dass er mich unter dieser Päonienmaske erkennen würde? Meine Arme und Beine verspürten das dringende Bedürfnis, der Gefahr zu entfliehen, doch ich unterdrückte diese unwillkürliche Regung.
    »Großlord Haio!«, rief ein weiterer Eunuch, als wir über die Schwelle in den Speisesaal traten. Die süßen, zitternden Töne einer Flöte verklangen unvermittelt und man hörte nur noch das Gemurmel von männlichen Stimmen, das nach und nach verstummte, als wir uns Kaiser Sethon näherten.
    Er saß auf einem vergoldeten Podest am anderen Ende des Saals und seine üppig mit Goldstickereien und Edelsteinen besetzte Robe schimmerte im Lampenlicht. Unterhalb von ihm saßen seine Gäste an zwei langen, sich gegenüberstehenden Tischen. Ein Stoß von Rotgesicht warf mich hastig auf die Knie und die Laute gab einen leisen Ton, als ich sie auf den Marmorboden legte. Ich warf den Nächstsitzenden einen verstohlenen Blick zu – lauter hohe Offiziere. Wir befanden uns mitten unter Sethons Kommandostab. Ich warf mich bäuchlings auf den Boden und der kalte Stein an meiner Stirn war wie ein Widerhall der Angst, die mich frösteln ließ.
    In ungleichmäßigem Takt schritt Haio zum Podest des Kaisers. Vida, die dicht hinter mir war, atmete immer rascher. Ich schloss die Augen und betete zu Bross. Mut, gib mir Mut.
    »Seid gegrüßt, Bruder, und erhebt Euch.« Sethons Stimme war genauso ungerührt und tonlos, wie ich sie in Erinnerung hatte. »Ich dachte, Ihr esst heute Abend mit Euren Männern.«
    »Das tue ich, Majestät«, erwiderte Haio und seine Stimme klang nun nicht mehr schroff und einschüchternd, sondern so befangen, wie ein jüngerer Bruder sich dem älteren gegenüber fühlt. »Ich habe Geschenke für Euch: eine Päonie und eine Eurer geschätzten Färberdisteln.«
    Mir stockte der Atem. Würde Sethon bestreiten, dass er eine Favoritin hatte? Er hatte Vida nie zuvor gesehen. Ich brauchte meine ganze Beherrschung, um nicht aufzusehen.
    »Und was steckt hinter diesem Geschenk?«
    Den Göttern sei Dank – ihn beschäftigte mehr, was Haio zu dieser großzügigen Geste bewogen haben mochte.
    »Nichts, mein Bruder. Gar nichts.« Haio räusperte sich. »Es ist bloß ein Geschenk. Zum Neuen Jahr.«
    »Die beiden haben also nichts mit Eurer momentanen Unzufriedenheit zu tun?«
    Bei diesen Worten lief eine Bewegung durch die Männer an den Tischen.
    »Es gibt keine Unzufriedenheit, Bruder«, entgegnete Haio rasch.
    Sethons Zweifel lag lastend über der Stille.
    »Das freut mich«, sagte er schließlich. »Diener, bringt mir meine Geschenke.«
    Leise Pantoffelschritte näherten sich auf dem Marmor und eine Berührung an der Schulter ließ mich wieder auf die Fersen schnellen. Ich blickte hoch in das Gesicht eines sehr jungen Eunuchen. Eine tiefe, halb verheilte Schnittwunde über seinem Wangenknochen hatte seine glatte Haut entstellt. Er sah mir in die Augen und ein Anflug von Mitgefühl huschte über seine beherrschte Miene. Hinter uns half ein älterer Eunuch Vida auf. Ich nahm die Laute und erhob mich ebenfalls. Es gab keine Möglichkeit, den Schwung aufzuhalten, der uns dieser tödlichen Audienz entgegentrieb.
    Mit gesenktem Kopf folgte ich dem jungen Eunuchen zum Podest. Als wir an den Tischen vorbeikamen, sah ich, wie die Männer den Hals reckten, um uns besser sehen zu können. Wir waren bloß ein weiterer Teil der Abendunterhaltung.
    Die beiden Eunuchen verbeugten sich vor Sethon und ließen uns vor dem Podest allein. Ich sank auf die Knie, doch ich hob den Kopf noch immer nicht; je länger er mein Gesicht nicht sah, desto länger durfte ich hoffen. Ich sah die

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