EONA - Das letzte Drachenauge
Anspannung der im Halbkreis Versammelten. Sie verneigten sich und verschwanden aus der Nähe ihres Kaisers, gewiss um etwas zu essen und sich schlafen zu legen. Als Dela an mir vorbeiging, berührte sie mich leicht am Arm.
»Seid vorsichtig«, flüsterte sie und sah sich kurz zu dem Drachenauge um. »Er hat nicht nur Drachenmacht.«
»Steht auf«, befahl Yuso.
Ido erhob sich mit anmaßender Langsamkeit und sah mich an, während Yuso seine Handgelenke aneinanderdrückte und sie mit einem Seil zusammenband. Bei Idos unverwandt auf mich gerichtetem Blick stieg ein Gefühl der Beklommenheit in mir auf.
»Ich muss den Bericht des Hauptmanns hören«, sagte Kygo und beobachtete unbewegt, wie zwei Wachen Ido vorwärtsstießen und er stolpernd zwischen ihnen herging. »Aber kommt danach bitte zu mir.«
»Natürlich, Majestät.« Ich verbeugte mich und zog mich zurück, während Yuso sich näherte.
Ich ging auf die Baumgruppe zu, wo es Essen und Wasser gab. Obwohl ich die ganze Zeit das Gewimmel der Leute vor mir im Auge behielt, spürte ich Idos Blick wie eine Hand, die mir das Rückgrat hinabfuhr. Dela hatte recht. Ich musste vorsichtig sein.
Eine Viertelstunde später stand ich vor Ido. Mein Vorwand waren eine Tasse Wasser und ein Streifen getrocknetes Rindfleisch für den Gefangenen. Aber in Wirklichkeit musste ich erfahren, warum er Kygo provoziert hatte.
Die Morgensonne war durch die Wolken gebrochen und heizte die schwüle Luft weiter auf. Ido war ihr schutzlos ausgesetzt und zu einem Strafknien gezwungen worden, das ironischerweise Segnung hieß und bei dem man den Rücken kerzengerade und die gefesselten Hände in Kinnhöhe halten musste. Schweiß tropfte aus seinem struppigen Haar und rann ihm in die Augen. Auch wenn seine Miene ungerührt war: Das Zittern seiner Arme machte die Anstrengung deutlich.
Ich hielt ihm die Tasse hin.
Unbeholfen nahm er das Wasser mit den gefesselten Händen. »Das wird langsam zur Gewohnheit«, sagte er.
Der Wächter, der an einem nahen Baum lehnte, straffte sich. »Mylady, Hauptmann Yuso hat angeordnet, dass Lord Ido nur auf seine Weisung hin Essen oder Wasser bekommt.«
»Offenbar ist das eine Lektion in Gehorsam«, sagte Ido heiser. »Der Hauptmann ist ganz versessen darauf, zu erfahren, wo sich das schwarze Buch befindet.«
Ich warf einen raschen Blick zu Yuso, der noch immer am anderen Ende der Lichtung mit Kygo beriet. Hatte Yuso sich das selbst ausgedacht oder hatte er seine Befehle? Das eine war ebenso beunruhigend wie das andere.
»Wie heißt Ihr?«, fragte ich den Wächter. Er gehörte zu Caidos Männern – ein erfahrener Bogenschütze, wenn ich mich recht erinnerte. Jedenfalls hatte er die Schultern und die muskulösen Unterarme dafür.
»Jun, Mylady.« Er verbeugte sich.
»Jun, glaubt nicht fälschlich, die Befehle Eures Hauptmanns würden mehr gelten als die meinen. Ich wünsche mit Lord Ido über Drachenaugen-Angelegenheiten zu sprechen.« Ich schickte den Mann mit einer Armbewegung weg. »Das ist nicht für Eure Ohren bestimmt.«
Mit einem ängstlichen Seitenblick auf Yuso verbeugte Jun sich erneut und bewegte sich langsam außer Hörweite. Ido trank die Tasse leer, wischte sich mit dem Daumen über den Mund und zuckte zusammen. Seine Oberlippe war geschwollen und das Seil war so fest gebunden, dass es seine Handgelenke bereits wund gerieben hatte.
»Setzt Euch nieder«, sagte ich.
Mit einem leisen Seufzer der Erleichterung ließ er sich auf die Fersen sinken. »Ich bin außer Übung. Mein Meister hat mich einzelne Staminata-Positionen stundenlang halten lassen.« Er ließ die Schultern kreisen. »Wir werden Eure Ausbildung genau damit beginnen: Ich glaube nicht, dass Ihr viel an den Staminata gearbeitet habt – dabei sind sie der Grundpfeiler der Energiebeeinflussung.«
Ich widerstand dem Lockruf seines Wissens. »Warum habt Ihr Kygo provoziert?«, fragte ich leise. »Er hätte Euch töten können.«
Ido blinzelte zum Kaiser hin. »Seine Mutter und sein Bruder wurden mit meiner Hilfe ermordet. Natürlich will er mich töten.«
In der Ferne hob Kygo den Kopf, als spürte er unsere Blicke auf sich, und seine plötzliche Reglosigkeit war eine klare Botschaft.
Ido lachte leise auf. »Und dass Ihr hier seid, passt ihm auch nicht.«
Genauso wenig wie Yuso. Auch der Hauptmann hatte aufgesehen und ich spürte die Welle des Zorns, die von ihm ausging.
»Warum habt Ihr Kygo provoziert?«, wiederholte ich.
Ido wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß
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