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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Ido behutsam einen weißen, gezackten, sandüberkrusteten Stab aus dem Boden, dessen Enden ich, wenn ich die Arme ausbreitete, gerade hätte fassen können. Er war hohl und etwa so dick wie mein Handgelenk und erinnerte an ein Bambusrohr.
    »Horcht.« Sachte schnippte er mit dem Fingernagel oben an die Kante, was ein scharfes, klirrendes Pling erzeugte.
    »Es klingt wie Glas.«
    »Es ist Glas.« Er hielt es mir hin. »Blitzglas.« Er neigte ganz leicht den Kopf und fügte hinzu: »Ein Geschenk, Lady Drachenauge.«
    Er legte es mir in die ausgestreckten Hände. Es war sehr leicht und zerbrechlich, und über die raue, körnige Oberfläche zogen sich lange Riefen. Ich drehte das Glas senkrecht; innen schimmerte es milchig und an den Stellen, wo es durchsichtig war, saßen kleine Luftblasen gefangen. Ich lächelte angesichts seiner Schönheit. Und angesichts seiner Verheißung von Macht.
    »Kann ich auch so eines machen?«
    »Natürlich«, sagte Ido. »So hat man mir beigebracht, Energie zu trennen. Blitze sind hochkonzentriert und haben eine bestimmte Form, wenn sie einschlagen. So sind sie recht leicht zu erkennen und einzufangen.«
    »Wie macht Ihr das?«
    »Es geht immer um Gleichgewicht. Blitze sind ungeheuer heiße Energie – also fängt man sie mit Kälte.« Er schnippte wieder an den gefangenen Blitz und brachte das Glas zum Klingen. »Ihr werdet es verstehen, wenn wir erst in der Energiewelt sind. Ich halte die zehn Drachen ab, während Ihr übt.«
    Ich beugte meine Finger und streckte sie wieder. Der Wunsch, mich mit meinem Drachen zu vereinen und endlich meine wahre Macht einzusetzen, war übermächtig, doch ebenso übermächtig war mein Misstrauen gegen Ido. Was wäre, wenn er die übrigen Drachen nicht im Zaum hielt?
    »Ihr traut mir nicht«, sagte er. »Das steht Euch deutlich ins Gesicht geschrieben.«
    »Warum sollte ich?«
    »Stimmt«, räumte er ein. »Man sollte nie auf Vertrauen setzen. Setzt lieber darauf, dass keiner von uns die Macht verlieren will. Und ohne einander können wir sie nicht retten.«
    »Gegenseitige Überlebenshilfe«, flüsterte ich. Das hatte ich ursprünglich Kygo geschworen. Das Echo dieses Schwurs schnürte mir die Kehle zu.
    Ido beobachtete mich scharf. »Genau.«
    Ich setzte das Blitzglas zwischen uns auf den Sand. »Zeigt mir, wie man so ein Ding macht.«
    »Zieht die Sandalen aus und arbeitet Euch mit allen vieren in den Boden hinein«, befahl er. »Benutzt die Energietore.«
    Ich ließ mich ihm gegenüber nieder und grub die Fußsohlen und die Handflächen durch den warmen Sand in tiefere, kühlere Schichten.
    Ido nickte beifällig und tat es mir gleich. »Wartet, bis ich mich mit meinem Drachen vereint habe, und macht es dann so wie ich.« Er warf mir ein kleines, wissendes Lächeln zu. »Ich schätze, inzwischen spürt Ihr, wann es bei mir so weit ist.«
    Ich starrte in den Sand und kochte innerlich, während er belustigt schnaubte.
    Sein Atmen glitt in den Rhythmus der inneren Schau und wieder trat das Silber in seine Augen. Dann spürte ich tief in mir die Freude, mit der er den Rattendrachen rief.
    Jetzt war ich an der Reihe.
    Ich versuchte, die sinnliche Verbindung mit ihm zu ignorieren, und konzentrierte mich auf meine Pfade des Hua. Die Luft, die ich einsog, war warm und salzig und die bitteren Spuren des Blitzes waren noch ganz schwach darin auszumachen. Ich hielt jeden Atemzug in meiner Achse, wie Ido es mich gelehrt hatte, und die in mich einströmende Energie löste meine Anspannung und öffnete den Weg zur Himmelsebene. Der Strand um mich herum flimmerte und verwandelte sich in die fließenden Farben der Energiewelt: in das wogende Silber des Wassers, in die regenbogenfarbenen Wirbel der Erde und der Luft und in die kleinen Flecken von hellem Hua, das von den kreisenden Fliegen herrührte.
    »Gut«, sagte Ido.
    Ich sah, wie das Hua durch die langen Meridiane seines durchscheinenden Körpers floss und die sieben Energiepunkte in kreiselnde Bewegung voll geballter Lebendigkeit versetzte. Doch noch immer klaffte inmitten des purpurnen Glühens unter seiner Schädeldecke ein dunkles Loch. Die Dorfbewohner hinter Ido sahen gebannt zu und ihre Energiekörper strahlten hell vor dem düsteren Hintergrund ihrer Hütten.
    Über uns zog der Rattendrache Kreise zum Ruhme meines Spiegeldrachen. Die blau schimmernden Schuppen von Idos Tier waren wie Wasser, das um das feurige Rot meines geschmeidigen Drachen strömte. Ich konnte nicht sagen, ob die Macht der beiden

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