EONA - Das letzte Drachenauge
Ringen stieg der Sand immer wieder in Fontänen auf. Gefangen zwischen Kygo und Ido, die beide um ihr Leben kämpften, erstarrte ich kurz.
Unter meinen Händen zuckte Idos Brust in flachen, keuchenden Atemzügen und sein warmes Blut klebte auf meiner Haut. Im Moment war er in größerer Gefahr. Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Ich konnte ihn heilen, ich hatte es schon einmal geschafft. Wieder atmete ich tief durch, diesmal schon weniger bebend. Beim dritten Atemholen schließlich sah ich, wie Idos Körper durchsichtig wurde; seine sieben Energiepunkte waren trüb und wurden mit jedem mühsamen Herzschlag dunkler, und durch die Meridiane auf der rechten Seite seines Körpers floss nichts Silbriges. Beim nächsten Atemzug rief ich den Spiegeldrachen und öffnete mich seiner Macht mit dem dringenden Befehl: Heile ihn!
Hua durchströmte mich in freudiger Vereinigung und erfüllte mich mit goldener Wonne und mit erhabenem Drachenblick. Der Kampf am Strand unter uns war nur ein Gewimmel aus hellen Punkten, die in einem verzweifelten Tanz zusammenkamen und wieder voneinander ließen. Wir sahen, wie der blaue Drache, dessen dünne Verbindung zum irdischen Körper immer schwächer wurde, uns umkreisen und schützen wollte, doch die zehn beraubten Drachen hatten unsere Gegenwart bereits gespürt.
Heile ihn! Wir zogen Kraft aus der ewigen Ebbe und Flut des Meeres, aus der unbändigen Energie des aufziehenden Zyklons, aus dem Kreuz und Quer der Linien, die tief in der Erde pulsierten. Wir waren Hua und unser goldenes Geheul hallte durch Idos Körper, knüpfte Fleisch und Sehnen zusammen und ließ den glatten silbrigen Lebensfluss erneut durch die eben noch dunklen Pfade strömen. Alle sieben Energiepunkte erwachten gleichzeitig wieder zu hellem, wirbelndem Leben, doch das schwarze Loch unter der Schädeldecke blieb und widersetzte sich weiter meinem Einfluss. Ido keuchte – ein langer, bebender Atemzug, der sein Hua weiter stärkte. Der Rattendrache kreischte, Macht lief pulsierend über seine blauen Schuppen und er spreizte die opalbleichen Klauen. Sein mit frischer Energie geladener Körper bäumte sich kampflustig auf und er bewegte den gewaltigen Kopf von links nach rechts und betrachtete die Welt unter sich. Die zehn Drachen nahten – und ihr Verlangen war größer denn je.
»Eona!« Ido zog mich zu sich herab. Der unvermutete Körperkontakt riss mich in meinen irdischen Leib zurück. Idos Augen waren ganz silbrig. »Mit den zehn Drachen können wir die Soldaten aufhalten.«
Dann war ich wieder mit dem Spiegeldrachen und seiner geschmeidigen Kraft vereint. Wir flogen durch die schweren Wolken und schlugen mit rubinroten Klauen nach dem Andrängen von allen Seiten. Neben uns kreischte erneut der blaue Drache und wand sich auf die Energie zu, die im grellen Klagegesang von zehn Trauerliedern kreiste.
Das ungestüme Herannahen der zehn Drachen geschah mit solcher Kraft, dass wir rückwärts durch die Luft wirbelten. Wir drehten uns und ruderten heftig mit Armen und Beinen, um die Wucht abzufangen. Ein riesiger grüner Leib rammte uns und smaragdene Klauen fuhren durch rote Schuppen. Aufschreiend duckten wir uns und schlugen mit dem Schwanz nach der hellgrünen Flanke. Der Zusammenprall des Hua dröhnte durch den Himmel. Der Hasendrache wollte uns anfallen, doch das blaue Tier rammte ihn und der mächtige rosafarbene Leib taumelte davon.
Geht tiefer . Idos innere Stimme drang durch die wilde Drachenschlacht. Zu den Soldaten .
Wir sahen, wie Reihen aus leuchtendem Hua vom Hügel strömten und hielten im Sturzflug darauf zu. Die zehn Drachen folgten uns brüllend in einem zerzausten Kreis. Der Rattendrache fuhr durch die Luft und trennte mit Zähnen und Klauen den Büffeldrachen und den Tigerdrachen von der übrigen Schar, sodass der Kreis zu einer schiefen Sichel wurde.
Jetzt!
Wir öffneten unsere Pfade und der vertraute Orangengeschmack seiner Macht fuhr durch uns hindurch und erfüllte uns mit gewaltiger Energie. Doch dieses Mal blieben wir nicht zurück. Dieses Mal ritten wir auf der aufgewühlten Welle aus Hua mit Ido und dem blauen Tier. Ringsum versuchten die Drachen, ihren Kreis wieder zu schließen. Das mussten wir verhindern.
Beschwört den Blitz, befahl Ido.
Wir spürten, wie das blaue Tier die winzigen kalten Funken aus Energie in den Wolken erntete und sie zu unserer vereint lodernden Macht hinzog. Wir griffen nach einem grellen Flimmern und rissen es an uns. Tief in uns vernahmen wir einen heulenden
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