EONA - Das letzte Drachenauge
»Es tut mir leid, Majestät. Es ist schwer, diesen Mann und seine Tat zusammenzubringen.«
Kygo stöhnte. »Da dürfte wenig Raum bleiben für Zweifel. Verhört die Gefangenen dennoch, damit wir Gewissheit bekommen, Yuso. Vielleicht haben sie ihn in ihrem Lager gesehen.«
Yuso verbeugte sich und zuckte dabei leicht zusammen vor Schmerz. »Jawohl, Majestät.«
Kygo ließ seinen Blick erneut über den Höhenzug wandern. »Lasst ihn für die Aasfresser liegen und schafft den Dorfbewohner zum Begräbnis in den Ort.« Er wies auf mich. »Kommt, Naiso.«
Ich folgte ihm den schmalen Pfad hinab. Ein Soldat am Strand hatte ihm den Oberschenkelmuskel aufgeschlitzt. Vida hatte die Verletzung gut genäht, ebenso wie Yusos grässliche Schulterwunde und Delas Schnittwunden im Gesicht, doch sie hatte keine Kräuter, um die Schmerzen zu lindern. Kygo ließ sich nichts anmerken, doch die schiefe Haltung seiner Schultern zeigte mir, dass seine Verletzung bei jedem Schritt wehtat. Vielleicht belasteten ihn aber auch Juns Verrat und der Tod der vierzehn Dorfbewohner, die bei der Verteidigung ihres jungen Kaisers gefallen waren.
Die schwarze Asche auf dem Pfad dämpfte unsere Schritte. Auch das Laub an den Büschen und Bäumen ringsum war voller Asche und der ehemals weiße Strand unter uns war nun grau. Mit dem Sonnenuntergang hatte die Flut eingesetzt und die heranrollenden Wellen würden ihn bis zur Gezeitenlinie reinwaschen. Meister Tozays Schiff sollte demnächst einlaufen. Die Fischer waren schon vom Meer zurückgekehrt, denn als sie den Feuerball sahen, hatten sie sofort die Netze eingeholt. Das Entsetzen, als die Männer an den Strand gekommen waren und die Verwüstung in den höher gelegenen Teilen des Dorfs gesehen hatten, war sogar durch meine gefühllose Starre gedrungen.
»Für einen so jungen Mann war dieser Jun ein ungemein fähiger Spion«, sagte Kygo. »Er muss ein dichtes Lügengewebe gesponnen haben.«
»Nach meiner Erfahrung fällt jungen Männern das Lügen leicht und sie sind ziemlich geschickt darin«, erwiderte ich düster.
Kygo blieb stehen und wandte sich zu mir. »Es war keine Lüge, Eona.«
Die bleich schimmernde, vom Kragen seines Hemdes halb verdeckte Perle zog meinen Blick erneut an. »Was war es dann?«
»Ich habe mein Heer auf die beste Weise geführt, die ich kenne.« Er rieb sich die Augen, um seine Anspannung loszuwerden. »Ja, Ihr sollt Idos Macht beherrschen. Aber ich schwöre: Ich wollte Euch nie bitten, den Treueeid zu brechen und den Spiegeldrachen zum Töten einzusetzen. Ihr und Euer Drache seid unsere Symbole für Heilung und Erneuerung.« Er verschränkte die Arme. »Und für Hoffnung.«
»Ich habe es getan, um Euch zu retten.« Wenn ich es nur oft genug sagte, würde ich mich vielleicht besser fühlen.
»Ich weiß. Als ich merkte, dass wir umzingelt sind, war mein erster Gedanken, zu Euch zu kommen.« Er streckte die Hand nach mir aus, ließ sie aber wieder sinken. »Ihr habt Ido nicht weggestoßen.«
Dieser unvermittelte Vorwurf durchbrach meinen Schutzschild. »Was?«
Seine Miene verhärtete sich. »Er lag auf Euch und Ihr habt ihn nicht weggestoßen.«
Ich errötete. »Ich hatte gerade Hunderte Menschen mit einer Macht getötet, die von meinem Hua kommt. Ihr könnt nicht verstehen, wie einem da zumute ist und was einem das nimmt.«
»Aber er kann es.« Kygo sah aufs Meer hinaus. »Ihr und er seid durch Macht verbunden. Bindet Euch sonst noch etwas an ihn?« Seine Stimme klang fast tonlos, so als wäre die Antwort nicht wichtig.
»Wie meint Ihr das?« Einen Augenblick lang dachte ich, er wüsste vom Hua Aller Menschen. Von dem schwarzen Buch.
Er wandte sich wieder zu mir und sein Gesicht war eine höfliche Maske. »Begehrt Ihr Lord Ido?«
Erleichterung – und Unsicherheit – ließen mich einen Moment zu lange zögern. »Nein!«
Sein ungläubiger Blick traf mich wie ein Schlag gegen die Brust.
Ich trat näher. »Kygo, Ihr wisst, dass Ido manipuliert, wo er nur kann. Das ist ihm zur zweiten Natur geworden. Bitte lasst nicht zu, dass er zwischen uns kommt.« Die Perle schimmerte am Rand meines Blickfelds.
»Jedes Mal wenn Ihr mit ihm allein seid, habe ich das Gefühl, Ihr entfernt Euch weiter von mir«, flüsterte Kygo.
Ich schüttelte stumm den Kopf. Er berührte mein Gesicht und zog mich mit der Hand zu sich. Ich schloss die Augen und spürte wieder seine Lippen weich auf den meinen. Seine Hand glitt in meinen Nacken und zog mich näher an seinen Mund. Ich wusste,
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