EONA - Das letzte Drachenauge
dass ich mich zurückziehen und ihn schützen sollte, doch ich musste meine Verlässlichkeit beweisen. Ihm und mir. Wir fanden gleichzeitig Geschmack aneinander und der Kuss entlockte ihm ein lustvolles Stöhnen, das mich ungeheuer erregte. Ich legte meine Hände auf seine Brust und spürte durch das Hemd seinen raschen Herzschlag.
Er schob seine Hand auf meinen Rücken, zog mich an sich und presste mich gegen seine Hüften. Ich bewegte mich, um noch mehr eins zu werden mit seiner Wärme, seinem Geschmack, seinem Geruch. Als ich über seine Wunde am Schenkel strich, stockte ihm kurz der Atem. Ich wollte mich entschuldigen und mich von ihm lösen, doch er nahm meinen Mund erneut, umfasste meine Taille und zog mich wieder an sich. Ein pulsierender, treibender Rhythmus jagte durch mich hindurch; er kam aus mir und ging – wie ich merkte – von meiner Schädelbasis aus. Die Perle. Ich schüttelte den Kopf, damit der Druck nachließ. Der Sog war nicht stark und ich konnte ihm standhalten.
Kygo unterbrach unseren Kuss, und in seinen Augen stand eher Sorge als Begehren. Er hatte mein Kopfschütteln missverstanden. Ich küsste ihn erneut und spürte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Der sanfte Druck seiner Zunge öffnete meinen ebenfalls lächelnden Mund. Seine Hand löste sich von meinem Nacken und glitt wunderbar langsam über meinen Hals und über mein Schlüsselbein und seine sanfte Berührung ließ meine Haut erschauern vor Lust.
Er legte seine Stirn an die meine und wir atmeten versetzt im gleichen Rhythmus. Sein Gesicht war so nah, dass ich es nur ganz verschwommen sehen konnte, doch noch immer sah ich die Perle zwischen uns schimmern. Ich ließ meine Hand unter sein Gewand gleiten und strich über die flachen Brustmuskeln auf die schimmernde Beute zu. Auf das Hua Aller Menschen. Als meine Fingerspitzen über den Narbenkreis rings um das Schmuckstück fuhren, schloss er die Augen und legte den Kopf in den Nacken, den geschwungenen Hals entblößt. Jetzt könnte ich ihm die Perle vom Hals reißen -
Die Perle! Wie ein kalter Guss kam die Einsicht über mich und brachte das Dröhnen in meinem Kopf zum Verstummen. Mit einem Ruck zog ich die Hand zurück und schob Kygo mit aller Kraft von mir weg.
Er taumelte rückwärts. »Was tust du da?«
Ich suchte nach einer Antwort, die die Verwirrung in seinem Blick beseitigte. Und ich wollte ihm einen anderen Grund nennen als die Perle. »Ach, ich denke an die Drachen.«
Seine Verwirrung schlug um in etwas Wilderes. »An die Drachen? Oder an Ido?«
Wir hörten ein Geräusch von weiter oben, fuhren herum und sahen, wie Yuso und Ryko zurückwichen. Ihre schuldbewussten Mienen zeigten uns, dass sie mehr mitbekommen hatten als nur die letzten Sekunden. Ich drehte mich um und rannte den Pfad zum Dorf hinab. Meine gedämpften Schritte hinterließen Aschefahnen in der schwülen Luft.
Im letzten Tageslicht saßen Vida und ich regungslos auf dem Deich und beobachteten das Einlaufen von Meister Tozays Schiff, einer Meeresdschunke mit drei Breitfocks, deren waagrechte Bambusstreben sich über das Segeltuch zogen wie die Rippen eines gefalteten Fächers. Die weißen Augen am Bug wurden von den Deckslaternen unheimlich beleuchtet und starrten mich anklagend an. An Bord hasteten schemenhafte Gestalten hin und her und waren vollauf mit dem Ankerwerfen beschäftigt. Ich wandte den Blick nicht von den drei kleinen Gestalten am Bug. War eine von ihnen meine Mutter, und kniff sie die Augen zusammen, um zu sehen, ob ich am Strand wartete?
»Seid Ihr so weit, Mylady?«, fragte Vida und stieß sich von der niedrigen Mauer ab. »Mein Vater will sicher mit der Flut wieder die Segel setzen. Je mehr Abstand zwischen uns und dem Zyklon, desto besser.«
War ich so weit? Wir würden mindestens vier Tage brauchen, um den Drachenbauch – die Landmasse im Südosten – zu umsegeln und den Treffpunkt im Osten zu erreichen. Vier Tage mit einer Mutter, die ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, mit zwei mächtigen Männern, die einander hassten, und mit Freunden, die mir nicht trauten. Ich drehte mich um und betrachtete den Laternenzug die Klippen hinauf: Die Dorfbewohner verlegten ihr Leben in die nahe gelegenen Höhlen. Einen tödlichen Zyklon und eine rachsüchtige Armee in einem Labyrinth aus finsteren, feuchten Höhlen zu überdauern, schien weit ungefährlicher zu sein als die Bootsfahrt, die vor uns lag.
Wasser spritzte auf und ich blickte wieder zu der Dschunke, wo ein
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