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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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und hielt mich wach. Erst dachte ich, es wäre das Rätsel um die Verse meiner Mutter. Was würde die Ratte nehmen, die Perle oder etwas anderes? Und was würde der Drache brechen, um das Reich zu erwecken? Den Treueeid, die Perle, mein Wort … mein Herz? Es gab keinen Zweifel, dass Ido und ich gemeint waren, aber war es eine Prophezeiung oder eine Warnung?
    Auch nachdem ich alle düsteren Möglichkeiten der Verse bis zur Erschöpfung durchgegangen war, hielt die quälende Unruhe mich wach und ich drehte mich auf der Hanfmatratze von einer Seite auf die andere. Das Schaukeln der Dschunke war stärker geworden, doch der Wellengang war nicht rhythmisch genug, um mich in den Schlaf zu wiegen. Schließlich gab ich dem Drang nach, mich zu bewegen und frische Luft zu schöpfen.
    Ich ging schwankend über den knarrenden Flur und Idos Wache sah mich kommen. Das Gefängnis des Drachenauges – ein hastig freigeräumter Lagerraum – lag bei der Treppe, die sowohl zum Oberdeck hinauf als auch hinunter in den Schiffsbauch führte, wo die Mannschaft und diesmal auch unsere Truppen untergebracht waren. Durch das Schaukeln der Dschunke hindurch drang Gemurmel herauf, und schwacher Lampenschein beleuchtete die Treppe. Der Wächter verbeugte sich pflichtschuldig, als ich vorbeiging und auf das nächtliche Oberdeck stieg.
    Frische Luft schlug mir entgegen und ich musste japsen. Die Seeleute, die an den Segeln waren oder Wache hatten, bemerkten mich im Licht der schaukelnden Laternen, doch sie gingen weiter ihren windumtosten Aufgaben nach. Ich schritt über das Deck auf die Reling zu, wobei das mitunter heftige Rollen der Dschunke mich wenig anmutig torkeln ließ. Kaum hatte ich das Geländer erreicht, presste ich Beine und Unterleib gegen den sicheren Halt.
    Gischt wehte mir vom in die Wellen schneidenden Bug salzig ins Gesicht. Der dunkle Himmel hing lastend über uns, und die Wolkenbänke standen zwischen Himmel und Erde wie ein riesiges Bollwerk. Als ich dort einen Blitz zucken sah, begriff ich, was mich ins Freie getrieben hatte: Der herannahende Zyklon beeinträchtigte mein Hua. War das immer so bei Drachenaugen? Wenn ich schon so unruhig war, dann musste Ido in seinem engen Gefängnis die Wände hochgehen.
    Eine untersetzte Gestalt kam mit geübter Balance über das Deck auf mich zu: Meister Tozay. Ich hob die Hand ehrerbietig zum Gruß.
    Er blieb neben mir stehen. »Guten Abend, Lady Eona.«
    »So gut ist der Abend nicht, oder?«, fragte ich, legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel.
    »Nein.« Er folgte meinem Blick. »Dem Zyklon selbst entgehen wir, aber seine Ausläufer werden uns erwischen. Ich habe noch nie so seltsame Wettererscheinungen erlebt.«
    »Wo ist Seine Majestät?«, fragte ich.
    »Der Kaiser schläft.« Tozay wandte sich mir zu und sein gedrungener Körper schirmte den Wind ab, der unsere Worte wegriss. Er zeigte auf seine Ohren und führte mich auf das von drei Seiten hufeisenförmig umbaute Achterdeck.
    Wir betraten das windgeschützte Plätzchen, und als die Gischt und der brausende Wind plötzlich aufhörten, musste ich husten. Eine einzelne Laterne neben einer abwärts führenden Luke warf unsere Schatten auf das Deck. Tozay winkte einem Mann zu, der Taue aufrollte, und bedeutete ihm, er solle woandershin gehen.
    »Ich habe eine Frage an Euch, Lady Eona«, sagte er, als der Mann sich gehorsam entfernte. »Warum kämpft Ihr für Seine Majestät?«
    Sein Ton knüpfte an unser Gespräch im Beiboot an. Ich passte meine Bewegungen besser an das Auf und Ab der Dschunke an. »Er ist der wahre Erbe. Er ist –«
    »Nein.« Tozay hob die Hand. »Es geht mir nicht um ein Treuebekenntnis oder um die Verteidigung seiner Ansprüche, Lady Eona. Ich möchte wissen, warum Ihr Kygo für die bessere Wahl haltet als Sethon. Warum Ihr Euch diesem Kampf angeschlossen habt.«
    Seine eindringlich gestellte Frage verlangte eine entsprechende Antwort. Ich hielt inne und dachte nach.
    »Er ist der Sohn seines Vaters, aber er ist auch ein eigenständiges Wesen«, erwiderte ich langsam. »Er hat Verständnis für Traditionen, aber er kann sich mit dem Schwung der Erneuerung darüber hinwegsetzen. Er beherrscht die Strategien von Krieg und Politik, doch anders als bei Sethon gilt ihnen nicht seine Liebe. Er liebt das Land und die Menschen, und die Pflicht geht ihm über alles.« Ich lächelte spöttisch. »Er hat mir einmal gesagt, ein Kaiser sollte sich diese wahren Worte auf die Brust tätowieren lassen: Keine Nation hat

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