EONA - Das letzte Drachenauge
Dao die Perle in der Stunde des Büffels rauben und Somo vor dem Palast treffen, wo er mit dem schwarzen Buch auf mich wartet. Bis ich bei meinem Geliebten angekommen bin, werden die zwölf Atemzüge der Kaiserlichen Perle längst vorbei sein und die Drachen werden die Perlenkette bilden. Dann kann niemand mehr ihre Befreiung aufhalten.
Das schwarze Buch liegt offen auf dem Tisch, bereit zur letzten Aufgabe. Ich berühre das Heft des Jadeschwerts und des Mondsteinschwerts und spüre meinen Zorn, der in den Stahl eingewoben ist. Diesen Teil des Plans habe ich Somo nicht erzählt und die kleine Täuschung liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen. Doch er hätte nicht zugelassen, dass ich meinen Geist einer solchen Gefahr aussetze. Ich nehme eines der Schwerter und fahre mit der Spitze über meine Handfläche, und ein brennender Schmerz lodert auf. Hellrotes Blut quillt aus der Wunde. Mit einem tiefen Atemzug drücke ich meine Hand auf die offenen Seiten und sammle mein Hua durch das Fließen meines Blutes. Das schwarze Buch zerrt an mir und verwebt meine Energie mit der Hitze der dunklen Kraft, die bereits die Drachen in ihrer Gewalt hat. Jetzt sind wir verbunden. Wenn es mir gelingt, wird mein Hua mit den Drachen befreit. Wenn ich scheitere, bin ich an der Seite der Drachen eingesperrt und warte auf eine neue Gelegenheit. Auf Pia oder auf eine andere von meinen Nachkommen, die es in Ordnung bringt -
»Kehrt zurück!«
Sethons Stimme riss mich los von meinem Drachen und warf mich in meinen misshandelten Körper zurück. Ich schrie, mein ganzer Körper war hell lodernder Schmerz. Sethons Hand legte sich um meinen Hals und grub die Fingerspitzen in meine Luftröhre.
»Wenn Ihr das noch einmal versucht, bin ich nicht mehr so großzügig mit der Heilkraft«, sagte er und packte mich am Hals, sodass ich keinen Laut hervorbringen konnte.
Mein Puls dröhnte in den Ohren und durch seinen hektischen Rhythmus klangen Kinras Worte.
Bring es in Ordnung .
24
I ch blinzelte über das Schlachtfeld, um Kygo und Ido inmitten der winzigen Gestalten auf dem Steilhang auszumachen. Konnten sie mich sehen auf diesem Befehlsturm, wie ich zu Sethons Füßen kniete? Sie konnten mich schwerlich übersehen, denn wir waren im Zentrum des versammelten Heeres, zwölf Stufen oberhalb der Soldaten auf einer Holzplattform. Und zudem saßen wir auf einem Thronpodest, über das ein Baldachin gespannt war – der Köder auf dem Präsentierteller.
Sethon strich mir durchs Haar und bei seiner Berührung überlief es mich kalt.
Vielleicht stand Ido gar nicht auf dem Hügelkamm. Die Bedrohung, dass ich seinen Willen unterwarf, hing nicht mehr über ihm, warum sollte er also bleiben?
Ich sah hinauf zu dem purpurnen Seidenbaldachin, der sich über uns bauschte und dessen Fransen – rote Segensbanner – knallten wie Peitschen. Etwas war seltsam an den heißen Böen, die über das flache Grasland fegten, und an den silbernen Wolken, die von allen Seiten aufzogen. Ich fuhr mir mit der Zunge über die rissigen Lippen und nahm den Geruch der Luft auf: Es lag etwas darin, das aufzuckende Blitze erwarten ließ – die gleiche beißende Energie, die ich am Strand mit Ido gerochen und geschmeckt hatte. All meine Drachenaugen-Sinne sagten mir, dass er diesen sengenden Wind erzeugte. Ido war also geblieben und würde an Kygos Seite kämpfen. Diese Gewissheit richtete mich auf.
»Habt Ihr sonst noch etwas zu sagen?«, fragte Sethon Großlord Tuy, der vor dem kleinen Thronpodest auf ein Knie gesunken war. Er war ein weiterer Halbbruder von Sethon, stand ihm vom Alter her aber näher als Kygo und hatte schmale, misstrauische Augen. Tiefe Falten verliefen von seiner Nase zu den Mundwinkeln und er sah aus, als hätte er ständig ein höhnisches Lächeln im Gesicht.
»Ich habe eine Sorge, Majestät«, sagte er. »Sie gilt dem Plan, den Hügel zu erstürmen. Allen strategischen Erkenntnissen zufolge ist es unklug, bergauf anzugreifen.«
Sethon strich mit dem Finger über die Kreise aus Mondstein und Jade im Griff eines der Schwerter von Kinra, das in der Rückenscheide über der Lehne seines Throns hing. »Unklug?«, wiederholte er leise.
»Vor allem Xsu-Ree warnt davor, Bruder«, sagte Tuy und ballte die Faust in dem Bemühen, seinen Ton zu mäßigen. »Warum gegen seine Weisheit verstoßen? Sie ist uns immer zugute gekommen.«
Meine Knie schmerzten auf dem harten Holz, doch ich wagte nicht, mich zu bewegen, um Sethons Aufmerksamkeit nicht wieder auf mich zu
Weitere Kostenlose Bücher