EONA - Das letzte Drachenauge
mir drei Tage lang vorgenommen hatte, gab es im Kerker einen Moment, da er seine Fähigkeiten und auch seine Macht zurückgewann. Er hätte das Gefängnis in Schutt und Asche legen können, doch er hat seine Macht lieber woandershin gerichtet – um Euch zu helfen, wie ich glaube – und so seine Chance vertan, zu fliehen.«
Ich fröstelte: Statt zu fliehen hatte Ido seine Macht dazu benutzt, mich vor den beraubten Drachen im Fischerdorf zu retten.
»Lord Ido wird Euch beschützen um jeden Preis«, fuhr Sethon fort. »Darum weiß ich, dass er dort auf dem Hügelkamm ist und uns angreifen will. Dass diese Plattform sicher ist. Und dass wir ihn besiegen werden.«
Mit unbeirrbarer Entschlossenheit erhob er sich von seinem Thron und zog mich auf die Beine. Meine Füße waren in eng sitzende Fesseln gelegt und nur sein fester Griff hielt mich aufrecht, als ich zum Rand des Podestes stolperte. Die Flaggenmänner auf der Plattform unter uns verbeugten sich, während Sethon auf den Boden wies. »Seht Ihr den Trupp Männer da unten?«
Schwankend stand ich an der Kante. Unter uns waren etwa fünfzig Männer vorgetreten, deren mausgraue Lederrüstung den Eindruck erweckte, sie wären aus dem Dunkel aufgetaucht.
»Ich nenne sie meine Jäger. Jeder von ihnen weiß, wie Lord Ido aussieht. Und sie alle wissen, wie er das Hua eines Menschen unterbrechen und ihn bewusstlos machen kann. Sie sind hier, um Lord Ido gefangen zu nehmen und ihn mir zu bringen, sicher in Schach gehalten durch die Schattenwelt. Und während sie das tun, werdet Ihr mit mir zusammen dafür sorgen, dass Idos Macht auf andere Dinge gerichtet ist.«
Diese Strategie war einfach und schlau. Sethon brauchte keine zwölf Jahre Übung im Umgang mit Drachen – nur fünfzig Jäger, die wussten, wie man sich durch das Getümmel schlägt, und ein Ablenkungsmanöver, bei dem Lord Ido nicht auf seinen irdischen Körper achten konnte. Diese Idee war Xsu-Rees würdig.
»Angriff«, sagte Sethon zu den Flaggenmännern.
Rote, grüne und gelbe Fahnen schwangen in anmutiger Abfolge durch die Luft. Ein Gebrüll ertönte von den vielen Tausend Männern unterhalb von uns, als die gelbe Division auf den Hügelkamm zumarschierte. Ich betete zu den Göttern, dass Kygo und Ido gerüstet waren.
Tief in mir spürte ich, wie Ido sich mit dem blauen Drachen vereinigte. Zwar dämpfte das schwarze Buch diese Empfindung, aber sie enthielt dennoch das dunkle, frische Aroma des Mannes und seines Geisttiers. Den Geschmack der Hoffnung.
Plötzlich verdichtete sich die Luft ringsum. Die Wolken über dem Schlachtfeld zogen sich zusammen wie ein jäh angespannter Riesenmuskel. Drei Blitze zuckten über den Himmel und schlugen mit knisternder Gewalt in das gelbe Bataillon ein. Erde spritzte hoch und in dem dunklen Getümmel blitzten bleiche Körper auf. Der Einschlag dröhnte über das Schlachtfeld, und die Schallwelle, die uns erreichte, war so heftig wie ein Faustschlag. Sethon und ich taumelten einen Schritt zurück und die Flaggenmänner unter uns gingen kauernd in Deckung. Ich wandte mich ab, um mein Hochgefühl zu verbergen.
»Angriff fortsetzen«, ordnete Sethon an.
Die Flaggen schickten seinen Befehl über das Schlachtfeld.
Ein dichter Pfeilregen kam von einer Bogenschützenreihe auf dem Hügelkamm. Die dunklen Geschosse überzogen kurz den silbernen Himmel, dann verloren sie sich vor dem düsteren Hintergrund des Hügels. Nur daran dass sich unter Sethons anstürmenden Soldaten plötzlich Lücken auftaten, war zu erkennen, dass die Pfeile ihr Ziel getroffen hatten.
Ein dunkles Grollen vibrierte durch meine Füße. Links des Steilhangs tat sich in der Erde ein Riss auf. Das Grasland brach zu beiden Seiten ein und der Spalt zog sich immer tiefer und länger durch das Schlachtfeld. Er raste direkt auf uns zu, als würden zwei riesige Hände den Boden auseinanderreißen. Männer stürzten schreiend in die sich vorwärtswälzende Rinne; die Hälfte des blauen Bataillons war schon unter den Erdmassen begraben oder nicht mehr zu sehen in der gewaltigen Staubwolke. Ich duckte mich, als Erde und Steine niederhagelten. Sethon hatte sich getäuscht: Ido würde die Plattform zerstören. Drei Flaggenmänner ließen ihre Kommandofahnen fallen und kletterten die Stufen hinab.
»Bleibt auf eurem Posten«, brüllte Sethon.
Sie erstarrten, als der dröhnend heranrasende Erdspalt den Turm ins Wanken brachte. Eine Hitzewelle fegte über uns hinweg. Ich würgte, denn Schmutz und Angst schnürten
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