EONA - Das letzte Drachenauge
blutverschmiert vor Kygos Füßen.
Die Männer unten brüllten. Ich sah nur die klaffende Wunde an Kygos Hals. Kaum hatten die drei Wächter seine Arme und Beine losgelassen und waren zurückgesprungen, da sackte er auf die Plattform und blieb reglos liegen. Dann hob sich seine Brust und das leise, gurgelnde Geräusch seines Atems war das kostbarste Geräusch, das ich je gehört hatte.
Sethon hielt die Perle triumphierend in die Höhe. Dann drehte er sich um, war mit wenigen Schritten auf dem Podest und setzte sich auf den vergoldeten Thron. Die ganze Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet, als er die Perle in seine Halsgrube drückte.
»Los«, befahl er dem Arzt. »Und schnell.«
Er lehnte sich zurück und stützte sich fest in seinem Thron ab.
Zwölf Stiche. Zwölf Atemzüge.
Ich sammelte meinen Zorn und mein Hua und wartete auf Sethons Schmerz. Wartete auf den ersten Stich. Meine beste Möglichkeit. Unter meinen Armen und in meinem Kreuz sammelte sich der Schweiß. Auf dem Podest schlossen sich Sethons Hände fester um die Armlehnen. Er stöhnte, als die Nadel in sein Fleisch stach und der Schock des Schmerzes hallte in dem Griff wider, den er um meine Macht gelegt hatte. Ryko hob den Kopf – er hatte es auch gespürt.
Mit all meiner Energie kämpfte ich gegen die Blutkraft. Sethons Griff lockerte sich ein wenig, ließ nach, dann zog er wieder unbarmherzig an.
Ein zweiter Nadelstich rieselte in die dunkle Energie. Ich warf ihr all mein Hua entgegen und mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Sethons Griff wurde abermals schwächer, doch dann schloss er sich erneut. Ich konnte nicht ausbrechen.
Die Blutlache um Kygos Hals wurde immer größer. Wie viele Atemzüge waren vergangen? Fünf? Sechs? Mir lief die Zeit davon und die Möglichkeiten gingen mir aus.
»Eona!« Rykos Ruf riss meinen Blick von Kygos mühsam atmender Brust. »Benutzt mich. Wie Ihr es vor dem Palast getan habt.«
Sein Wächter stieß ihn nieder und drückte ihm ein Knie in den Rücken. »Halt’s Maul.«
Ich überlegte verzweifelt, was er gemeint haben mochte.
Sein Hua! Seine Lebenskraft, die durch unsere eigene Verbindung floss! Und er war weder der dunklen Energie des schwarzen Buches noch der Drachenmacht unterworfen. Diese Möglichkeit flutete hell und heftig durch meine Verzweiflung. Am Palast allerdings hätte ich ihn fast umgebracht.
Der Schmerz des dritten Stichs schwächte Sethons Zwang.
»Ryko, nein«, flehte Dela.
»So werde ich Euch nicht sterben sehen, Dela«, gab er zurück. »Tut es, Eona!«
»Es wird Euch töten«, sagte ich.
»Wir werden alle sterben, wenn Ihr es nicht tut.« Er verstummte, da der Wächter ihm das Knie fester in den Rücken stemmte und seinen Brustkorb auf die Plattform drückte. Verbissen hob er den Kopf wieder. »Meine Entscheidung, Eona!«
Seine Entscheidung, doch ich war diejenige, die ihm das Leben nehmen würde. Ich konnte es nicht tun.
»Eona, achtet mich.«
Ich blickte in sein stolzes Kriegergesicht. Ehre und Pflichterfüllung: das, was Ryko im Herzen ausmachte. Und nun gab er uns sein Herz. Ich nickte und er lächelte in grimmiger Zufriedenheit, straffte sich und wandte Dela den Kopf zu. Ihr leises Stöhnen ging in ein Schluchzen über.
Ich atmete tief ein, bereit für Sethons nächste Welle aus Schmerz. Kaum durchzitterte sie die Blutkraft, lockerte sich der Zugriff des schwarzen Buches erneut ein wenig. Mit einem Stoßgebet an alle Götter, die mich hören mochten, fasste ich nach Rykos Hua.
Seine pulsierende Lebenskraft durchflutete mich mit solcher Gewalt, dass sie Sethons Griff weit aufstemmte. Mit einem Schrei, der mir durch alle Adern fuhr, löste sich die Perlenschnur von meinen Handgelenken und das schwarze Buch fiel in meinen Schoß. Ich spürte, wie meine Verbindung mit Ryko sich auflöste und zerbrach und der schmerzliche Verlust hinterließ einen tiefen Riss in mir. Ich hörte Ido laut jubeln und spürte, wie meine Macht mit einem Schlag zurückkam. Wir waren frei. Doch ich hatte nur Augen für den toten Ryko auf der Plattform.
Während Dela schrie, spürte ich, wie Ido sich mit seinem Drachen vereinigte. Ein heftiger Wind kam auf und meine Haut brannte von Idos Macht, die ich darin schmeckte.
Sethon fuhr hoch. »Haltet sie auf!« Er stieß den Arzt weg und presste die halb vernähte Perle an seinen Hals. »Jäger, haltet Lady Eona auf! Und Ido!«
Der Jäger hinter mir packte mich an den Haaren und riss mir den Kopf in den Nacken. Ich sah gelbe, vor Anstrengung
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