EONA - Das letzte Drachenauge
Geschmack nach Zimt erfüllte meinen Mund. Würde ich nun zum letzten Mal die herrliche Würze unserer Vereinigung spüren? Dieser bittersüße Gedanke stieg in mir auf und schnürte mir die Kehle zu wie Weinen. Der Drache senkte den massigen Kopf, und die großen Augen waren ganz nah. Sein alter Blick zog mich in den nie endenden Kreislauf von Leben und Tod, Sonne und Mond, Chaos und Gleichgewicht. Wie alt er war. Zeit zur Erneuerung! Du bekommst deine Perle wieder, versprach ich lautlos und spürte ihre aufsteigende Freude. Und doch verdüsterte der kommende Verlust meinen Geist.
Wir sangen zusammen, woben das Hua der Erde in Kygos zerfetztes Fleisch und entfachten seine nur mehr ganz schwach flackernde Lebenskraft wieder zu hell fließender Energie und zu einem kräftig pochenden Herzen. Unsere herrliche Harmonie heilte alle Wunden, und die sanfte Umarmung durch die goldene Macht linderte meinen schmerzenden Geist. Kygos Brust zuckte unter meinen Händen und auf sein plötzliches Luftholen folgte ein abgehacktes, hustendes Ausatmen.
Eine ungeheure Druckwelle aus heißer, würziger Luft riss mich aus der Energiewelt. Zehn gewaltige Drachen stießen auf die Ebene rund um die Plattform nieder – ein Regenbogen aus glitzernden Schuppen, kräftigen Muskeln und dichten Mähnen. Echte Körper aus Fleisch und Blut, so groß wie Palasttempel. Ich starrte auf das leuchtende Orange des Pferdedrachen vor mir, dessen aprikosenfarbene Perle glühte und summte. Neben ihm reckte der Ziegendrache seinen langen Hals; seine silbernen Schuppen warfen das Licht zurück wie strömendes Wasser und auch seine Perle sang. Sein warmer Zitronenatem erfüllte die Luft. Sie waren alle auf der irdischen Ebene, für jeden sichtbar. Das hätte niemand für möglich gehalten, und so waren alle auf der Plattform in staunender Ehrfurcht erstarrt. Selbst Ido und Sethon hatten abgelassen von ihrem wütenden Kampf. Nur Dela wiegte Rykos toten Körper an der Brust.
Ich drehte mich einmal um mich selbst, um den riesigen Tierkreis in mich aufzunehmen: den grünen Tigerdrachen, den Hasendrachen in Morgenrosa, den purpurn schimmernden Büffeldrachen. Dann klaffte eine Lücke: der Platz des Rattendrachen. Und im Osten war erneut ein leerer Fleck – für den Spiegeldrachen. Sie hatten sich noch nicht in den Kreis gesellt. Wir hatten noch Zeit.
Schrilles Geschrei von unten durchbrach die ehrfürchtige Stille. Ich blickte hinab und sah, wie der Büffeldrache mit seinem massigen Schwanz ausschlug, unter dem Massen zerfetzter Körper zum Vorschein kamen und mit dem er immer mehr Soldaten wegfegte. Mir wurde übel bei diesem Chaos. Die zehn Tiere hatten sich inmitten von Sethons Heer materialisiert und bereits die Hälfte seiner Krieger zerquetscht. Die andere Hälfte floh vor den Drachen. Unter den Flüchtenden sah ich gefangene Widerständler. Einige hatten sich – den Göttern sei Dank – retten können.
Kygo hob den Kopf und betrachtete die großen Tiere um uns herum. »Eona, was geht hier vor?«
»Die Perlenkette«, flüsterte ich.
»Was?« Er setzte sich auf und bei der plötzlichen Bewegung wich die frisch gewonnene Farbe aus seinem Gesicht.
Ich packte seine Arme und stützte ihn. Er kannte nicht die Wahrheit über die Drachen und über die Perle. Irgendwie musste ich es ihm erklären. Und ihn, so hoffte ich, dazu bewegen, mir zu helfen.
»Kygo, hört mir zu«, begann ich. »Es gibt keinen Handel zwischen uns und den Drachen. Es hat nie einen Handel gegeben. Die Kaiserliche Perle ist ihr Ei. Wir haben es gestohlen als Pfand für ihre Macht. Und nun brauchen sie es zurück. Um das Land zu erneuern.«
»Keinen Handel? Warum hat man mir das nicht gesagt?« Er drehte sich erneut herum und sah zum Büffeldrachen hoch. Das Tier wandte uns seinen gewaltigen gehörnten Schädel zu. Die schimmernden Purpurschuppen seines geschwungenen Halses und seiner breiten Stirn gingen am weit vorspringenden Maul über in Lavendelblau. Unter dem seidig wallenden malvenfarbenen Bart surrte die Perle vor Dringlichkeit und über ihre Oberfläche flackerten violette Flammen. »Woher wisst Ihr das alles?«, fragte Kygo.
Es war keine Zeit, ihm von Kinras Erinnerungen und dem schwarzen Buch zu erzählen. Ich packte ihn fester an den Armen, als wollte ich die Wahrheit in ihn hineinpressen. »Kygo, vertraut mir. Wenn Ihr Euer Land so liebt, wie Ihr sagt, müssen wir den Drachen die Perle zurückgeben.«
Er starrte mich an. »Sie ist das Symbol meiner Macht.«
»Sie ist
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