EONA - Das letzte Drachenauge
geflochtenen Kranz aus Trockenfrüchten – militärischer Reiseproviant, gewiss aus Haddos Vorräten gerettet. »Esst etwas, bevor wir aufbrechen. Und lasst Euch die Hand verbinden.«
»Dela«, erwiderte ich. Sie hatte sich schon abgewandt, doch nun blieb sie stehen. »Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?« Ich band die Perlen ab, ohne mich um ihren Widerstand und das leichte Ziehen in meinem Herzen zu kümmern. »Würdet Ihr das Buch an Euch nehmen?«
»Ihr wollt, dass ich es trage?«
Ich hielt es ihr hin und die Perlen schlangen sich wieder darum. »Nur Ihr vermögt die Schrift zu entziffern. So könnt Ihr jederzeit daran arbeiten.«
Sie musterte mich kurz und ihre Hand hielt inne über der meinen. Spürte sie, dass ich ihr etwas verheimlichte? Und doch konnte ich ihr nicht sagen, dass meine Vorfahrin, auf der all unsere Hoffnungen ruhten, eine Verräterin gewesen war. Das konnte ich niemandem sagen. Kein Wunder, dass Kinras Name aus den Aufzeichnungen getilgt worden war und dass ihr Drache den Kreis fünfhundert Jahre lang geflohen hatte. Und dieses befleckte Blut floss in meinen Adern. Das war das unverzeihliche Vermächtnis, das ich mit den Göttern wieder in Ordnung bringen musste.
Schließlich nahm Dela das Buch. »Zu Euren Diensten, Lady Drachenauge«, sagte sie und steckte es zusammen mit seiner Schnur aus Wächterperlen in ihre Jacke.
Als Vida mir den Verband anlegte, tauchte der Kaiser mit raschen, steifen Schritten aus der Seitengasse auf. Ryko, Yuso und der unverletzte Gardist folgten ihm in besonnenem Abstand. Selbst von meinem Sitzplatz vor der Stalltür aus bemerkte ich die Anspannung zwischen den Männern.
»Sind die Pferde bereit?«, fuhr der Kaiser Solly an. »Haben sie Wasser bekommen?«
Der Widerständler fiel auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. »Ja, Majestät.«
Vida tat es Solly gleich und warf sich in den Staub. Ich kniete nieder und machte die Verbeugung des zunehmenden Mondes. Erst als Dela mich anzischte und mir mit der flachen Hand bedeutete, den Kopf tiefer zu senken, erkannte ich meinen Fehler: Ich hatte mich verbeugt wie ein Lord, nicht wie eine Lady.
»Erhebt euch«, sagte der Kaiser knapp.
Wir standen auf. Sein Blick glitt über die Pferde.
»Nur vier? Wie viele sind wir?«
»Acht, Majestät«, erwiderte Dela.
»Also immer zwei auf ein Tier. Wir müssen möglichst weit von diesem elenden Gasthaus weg, und zwar schnellstens.«
Ryko trat vor. Wie versprochen, hielt er Kinras Waffen in den Händen. Die Klingen waren gesäubert. Um ein Haar hätten sie das Blut des Kaisers vergossen. Ich durfte nicht wagen, sie in seiner Gegenwart zu berühren.
»Majestät«, begann Ryko, »darf ich vorschlagen, dass Ihr Lady Eona mit Euch reiten lasst? Euer Pferd ist nicht in der Verfassung, zwei ausgewachsene Männer zu tragen.«
Das war eine vernünftige Überlegung, doch ich wusste, dass er den Vorschlag gemacht hatte, um sich möglichst weit von mir entfernt zu halten. Noch hatte ich keine Möglichkeit gehabt, mit ihm über die seltsame Herrschaft zu sprechen, die ich während des Kampfes über seinen Willens ausgeübt hatte. Nun versuchte ich, eine Vorahnung abzuschütteln. Ich wollte niemandes Willen beherrschen und ich wollte ganz sicher nicht, dass eine solche Herrschaft zwischen uns trat. Rykos Vertrauen in mich war ohnehin von Argwohn getrübt.
»Nein, Ryko.« Yuso schüttelte den Kopf und wirkte in seinem Widerstand genauso entschlossen wie der Insulaner. »Es ist keine gute Strategie, wenn Seine Hoheit und Lady Drachenauge auf demselben Pferd reiten.«
Der Insulaner hob das Kinn. »Hier schon, Hauptmann. Wir können beide von drei Seiten schützen und trotzdem schnell reiten.«
Yuso musterte seinen Untergebenen. »Und wenn wir verfolgt werden und in einen Kampf verwickelt werden, verlieren wir womöglich beide. Nein, wir sollten unsere Schätze lieber verteilen, als sie an einem Ort dem Zugriff anderer auszuliefern.«
»Schluss«, sagte der Kaiser müde. »Dafür ist keine Zeit. Lady Eona reitet mit mir. Ju-Long hat ein starkes Herz, aber er ist sehr erschöpft. Da macht eine leichtere Last eine Menge aus.«
Die beiden Soldaten verneigten sich.
Der Kaiser sah auf seine blutige Trauerrobe hinunter. »Lady Dela, besorgt mir etwas zum Anziehen. Dieses Gewand ehrt meinen Vater nicht länger. Und ihr Übrigen bildet Paare – aber denkt dabei an die Pferde.«
»Hier entlang, Majestät.« Dela führte ihn an uns vorbei in den Stall.
»Ihr solltet mehr von
Weitere Kostenlose Bücher