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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Ravinia, wenn du jeden
verfolgst und umbringen lässt, der sich deinen Idealen widersetzt!«, rief Lord
Hester Roland Winter zu.
    Â»Natürlich!«, donnerte der Herr über Wind und Staub.
»Natürlich herrscht dann Frieden in der Stadt, wenn alle an einem Strang
ziehen.«
    Lord Hester schüttelte nur bedauernd den Kopf.
    Â»Und das befugt dich dazu, Säuglingen die Eltern zu
nehmen? Verrate mir, Roland, wie viel von deiner Seele hast du verkauft für
solche Einsichten? Oder hat dir deine Macht über Wind und Staub den Verstand
geraubt?«
    Â»Vorsichtig, alter Mann«, drohte Winter außer sich vor
Zorn. »Diese Macht werde ich dazu verwenden, dich ein für alle Mal aus dem Weg
zu räumen.«
    Â»Und dann?«, reckte Lord Hester das Kinn. »Was
geschieht dann? Es wird einen neuen Rabenlord geben und nach ihm wieder einen.
Ich selbst habe keinen starken Charakter. Ich bin nicht so, wie ich gerne wäre.
Kein Held. Es gibt so vieles, auf das ich nicht stolz zu sein behaupten kann.
Mehr Rückgrat zu haben als ich ist nicht schwer. Aber glaube mir: Jeder , der mir nachfolgt, würde dir das Leben erschweren.«
    Â»Na und?«, tönte Winter. »Was kann ein Rabenlord mir
schon anhaben? Was kannst du mir anhaben? Deine
lächerlichen Raben und ihre noch lächerlicheren Federn sind keiner meiner
Fähigkeiten gewachsen.«
    Â»Das stimmt«, pflichtete Lord Hester ihm bei. »Und
trotzdem kann ich nicht zulassen, dass du in Ravinia das Sagen übernimmst. Ich
habe vor vielen Jahren versäumt, dir die Stirn zu bieten, und ich werde diesen
Fehler nicht wiederholen. Du stürzt diese Stadt sehenden Auges ins Verderben,
und das kann und werde ich nicht zulassen.«
    Roland Winter schnaubte.
    Â»Das ist Selbstmord, alter Mann.«
    Doch Lord Hester ignorierte den Kommentar.
    Â»Ich biete dir dasselbe an, was Tomek Truska vorhin
schon von dir verlangt hat: Verlass Ravinia und kehr nie wieder hierhin
zurück!«
    Â»Verflucht«, spie Winter aus. Er streckte einen Arm
aus und ballte eine Faust, als würde er nach etwas greifen.
    Lord
Hester wurde gepackt und in die Luft gehoben. Aufrecht ließ Winter ihn dort verharren und funkelte ihn
zornig an.
    Â»Ich mache dir ein einmaliges Gegenangebot, Charles
Hester«, rief er dem Rabenlord entgegen. »Du verlässt Ravinia an meiner statt.
Und deine Raben und ihre Federn mit dir!«
    Und in diesem Moment war die Traurigkeit in Lord
Hesters Blick so offensichtlich und unübersehbar, dass es Lara und ihren beiden zum Zusehen verdammten Freunden selbst
heiße Tränen der Verzweiflung und Resignation in die Augen trieb. Der
Rabenlord sah auf einmal so unbedeutend, so unscheinbar aus, wie er dort von
Winter in der Luft gefangen gehalten wurde, dass es wehtat. Es tat weh, brannte
auf der Seele und schrie vor Ungerechtigkeit.
    Und Lord Hester ließ traurig den Kopf hängen.
    Â»Dann sei es so«, seufzte er ein letztes Mal.
    Und langsam, ganz langsam glitt er zu Boden, als würde
der Luftstrom um ihn herum ihn behutsam absetzen.
    Â»Was zum –«, warf Roland Winter ein, dem der Wind
auf einmal nicht mehr zu gehorchen schien.
    Der Rabenfedersturm um sie herum änderte erneut die
Frequenz seines Tosens – langsam, ganz langsam wurde er ruhiger, verlor an
Geschwindigkeit. Unmerklich zuerst.
    Doch niemand achtete auf den Sturm.
    Denn es war Roland Winter, der alle Blicke auf sich
zog.
    Federn bildeten sich an seinem schwarzen Jackett. Erst
einzelne, dann immer mehr.
    Der Herr über Wind und Staub verlor an Größe, während
auf seinem Körper immer weitere glänzend nachtschwarze Federn wuchsen.
    Er schrie und schlug um sich, wusste nicht, wie ihm
geschah.
    Und der Klang der Schreie bekam eine neue Farbe, wurde
rauer, höher und am Ende mehr und mehr zu einem Krächzen.
    Schließlich saß vor ihnen im Auge des immer schwächer
werdenden Sturmes ein schwarzer Rabe, von den übrigen Raben der Stadt nicht zu
unterscheiden.
    Er blickte mit schwarzen
Knopfaugen zu Lord Hester, herüber zu Lara und Tom und
Geneva und schließlich zurück zu Lord Hester.
    Und während der Sturm um sie herum die letzte Kraft
einbüßte, schwang sich der Rabe, der einst Roland Winter gewesen war, in die
Luft und entschwand ihren Blicken.
    Lord Hester sah ihm bloß nach, unternahm nichts, nicht
den kleinsten Versuch, ihn aufzuhalten. In seinem Blick lag nur Bedauern,
tiefstes,

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