Epicordia
aufrichtiges Bedauern.
Er sagte nichts.
Lange Zeit nichts.
Rings um sie herum fielen die Rabenfedern zu Boden und
blieben in einem riesigen schwarzen Kreis auf den Trümmern der zerstörten Wache
liegen.
Tränen waren wie Staub und Gefühle schwarz
wie RuÃ.
Der Gesang des mysteriösen
Chorals war einer Trauermelodie gewichen â und Lara hatte endlich erfahren,
worum es sich dabei handelte.
Die Gargylen, die lebendigen Wasserspeier, von denen
die botanischen Gärten und die Kathedrale St.
Anna Rosa bewacht wurden, hatten gesungen. Die steinernen, geflügelten
Wesen lebten in ihrem eigenen Kosmos von Schwarz und WeiÃ, von Gut und Böse. Selten lieÃen sie sich auf
herkömmliche Art und Weise überzeugen für eine Sache zu kämpfen oder nicht.
Bloà durch tiefe, ureigene oder magische Versprechen lieÃen sie sich binden. Oder dann, wenn sie es tatsächlich
selbst wollten.
Alte Berichte, teils bloà Legenden, besagten, dass die
Gargoyle zu singen begönnen, wenn Ravinia von schweren Zeiten heimgesucht
werde. Es schien ihre Art zu sein, ihrer Verbundenheit mit diesem seltsamen,
düstergoldenen Ort Ausdruck zu verleihen.
Robert Garbow erklärte es Lara später einmal. Er hatte
es in einem der alten, handgeschriebenen Bücher gelesen, die er sich von Zeit
zu Zeit von Tom lieh, um sich mit Wissen vollzustopfen. Wissen aus der
Vergangenheit Ravinias, aus früheren Generationen, aus anderen Zeiten.
Geneva war in den Trümmern der Wache
verschwunden. Zu viele ihrer Freunde und
Kollegen lagen dort. Umgebracht oder zumindest doch verletzt von
Ravinias einzigem wahr gewordenen Albtraum.
Was wäre wohl geschehen, hätte sich Lara McLane nicht
als eine der besten Schlüsselmacherinnen erwiesen? Oder wenn Roland Winter
tatsächlich noch einige Stunden gehabt hätte, um zu vollenden, wofür er
hergekommen war?
Selbst die wundersame Verwandlung in einen Raben, die
Lord Hester bewirkt hatte, konnte nicht wiedergutmachen, was allein in der Zeit
geschehen war, die Roland Winter zu Verfügung gestanden hatte.
Ravinia trug Narben davon â und die Menschen, die in
der Stadt wohnten, trugen sie mit ihr. Manche schwerer, manche leichter, manche
bloà an der Oberfläche. Doch unberührt blieb niemand, auch wenn er es sich noch
so lange einreden mochte.
Die Nachtwächter waren in Zeiten der Gefahr die Lebensversicherung Ravinias. Zumindest hatten dies immer
alle geglaubt. Roland Winters Demonstration seiner absoluten Macht, der
nicht einmal die Nachtwächter etwas entgegenzusetzen gehabt hatten, schockierte
die Stadt und ihre Bewohner zutiefst.
Wenn die Nachtwächter Ravinia nicht beschützen
konnten, wer dann?
Und jetzt, da nur noch wenige von ihnen übrig
geblieben waren, wirkte es beinahe, als könnte
bereits der nächste Herbststurm alles mit sich fortreiÃen. Die Stadt
schien nackt, verwundbar.
Unsicher.
Ravinia war kein Paradies.
Die Stadt war nicht gegründet worden, um eines zu
sein, noch hatte sie es jemals zu einem solchen Ort gebracht. In Ravinia
wohnten seit jeher Menschen. Und Menschen waren ungerecht, rachsüchtig,
habgierig. Sie hatten ihre Fehler. Alle. Ja, ihnen wohnte ein göttlicher Funke
inne, doch sie verstanden es gut, ihm das Leben schwer zu machen.
Doch waren Menschen auch Menschen, weil sie Schmerz
empfanden, Freude, weil sie lachen und vergeben konnten. Und lieben.
Und die Liebe war ein eigenes Kapitel für sich,
beinahe so umfangreich wie das Leben.
Und in Liebe flüchteten sich manche Menschen â und
manche auch nur in ein schwaches Abbild davon. Das wusste Lara McLane nun,
deren Leben ein Herbstregen war â auch, wenn er kälter war, als ihr lieb
gewesen wäre.
Sie seufzte.
Es gab so viel zu tun.
So viel Leid zu lindern.
Zu ertragen.
So viel zu bewältigen.
Tom lächelte sie schwach an. Lara würde ihn hier
herausschaffen. Oder zumindest dafür sorgen, dass er wach blieb. Denn jetzt
würde bald Hilfe kommen. Da war sie sicher.
Lara blinzelte in den Himmel.
Der Sturm und seine Wolken waren verflogen und die
Sonne streckte ihre ersten Strahlen nach der düstergoldenen Stadt aus. Wie eine
feige Verräterin.
Epilog
Der Mond und der Schlaf und die Einsamkeit wissen
über uns Bescheid.
Oh.
Ich war die Hälfte der Strecke davon ausgegangen,
du erinnerst dich an mich und wir gehen zusammen.
Oh.
 Jan Plewka
â Szenenwechsel.
Geringschätzung und
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