Epsilon
den achten Stock fuhren.
»Ich nehme an, Sie haben sich die Wohnung bereits angesehen«, meinte Susan schließlich.
»Ich habe die Schlüssel vom Hausmeister. War nie hier, als Dan noch lebte. Aber ich habe versprochen, die Wohnung bis zum Ende des Monats zu räumen. Die Miete ist bis dahin bezahlt.«
Sie betraten das Apartment. Es war offensichtlich, dass Schiller mit dem Ausräumen noch nicht begonnen hatte; immerhin waren bis zum Ende des Monats noch gut zwei Wochen Zeit. Susan fand sich in einem schmutzigen, doch relativ hellen und geräumigen Wohnzimmer wieder. Alles darin deutete auf einen Menschen hin, dessen Leben bis ins Kleinste organisiert und ganz auf seine Arbeit ausgerichtet gewesen war. Oder besser auf seine Recherchen, korrigierte sie sich. Überall an den Wänden standen Aktenschränke, auf den Regalen Aktenordner, jeder einzelne fein säuberlich beschriftet und systematisch geordnet. Auf anderen Regalen standen Wörterbücher, Verzeichnisse und Nachschlagewerke aller Art. Susan entdeckte einen Fernseher und einen Laptop mit angeschlossenem Drucker.
Sie wechselte einen Blick mit Schiller.
»Falls die Beweise, die Sie suchen, hier sind«, sagte er, »können Sie sie vielleicht finden. Mir ist es nicht gelungen. Um genau zu sein: Hier ist nirgendwo – und ich bin mit der Lupe durchgegangen – ein Hinweis auf die Pilgrim-Foundation oder die Story vom bionischen Menschen zu finden. Nicht auf Papier und nicht in seinem Computer, den ich von Greg – das ist der Bursche, den Sie in meinem Büro kennen gelernt haben – habe durchchecken lassen. Wenn Sie sich selber auf die Suche machen wollen, bitte.«
Sie überlegte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf. Nicht nur, dass sie die Vorstellung, in Samples Sachen zu wühlen, abstoßend fand, sie glaubte auch ohne weiteres, dass Schiller sorgfältig vorgegangen war.
»Natürlich kann er sein Material auch irgendwo anders versteckt haben«, sagte sie.
Er tippte sich leicht an die Schläfe, als wolle er Zustimmung signalisieren. »Ich habe mit den Leuten gesprochen, die unter ihm wohnen«, sagte er. »Ein älteres Ehepaar, beide ein bisschen schwerhörig. Dennoch haben sie etwa eine Stunde, bevor Dan aus dem Fenster stürzte, ein Poltern und Klopfen gehört, als wäre er auf und ab gesprungen, und das ganze fünf Minuten lang. Sie wollten schon nach oben gehen, um sich zu beschweren, da hat der Lärm plötzlich aufgehört.«
»Sie wollen also andeuten«, erwiderte Susan, »dass ihn jemand umgebracht und dann eine Stunde lang das Apartment auf den Kopf gestellt hat, um was auch immer mitgehen zu lassen – und Samples dann aus dem Fenster zu stürzen?«
Schiller hob die Schultern. »Firmenpolitik«, erklärte er. »Wir berichten nur die Fakten, soweit sie uns bekannt sind. Wir geben keine Kommentare dazu ab.«
Susan blickte sich noch einmal im Zimmer um und sah Schiller dann erneut an. »Ich weiß es sehr zu schätzen«, sagte sie, »dass Sie mir diese Fakten zugänglich gemacht haben. Ich glaube, wir sollten in Verbindung bleiben.«
13
Nach Johns Tod, in der Zeit, bevor sein Leichnam nach Hause gebracht worden war, hatte man Susan gefragt, ob sie nach Russland fliegen wolle, um sich den Unfallort anzusehen. Einige Ehefrauen und Verwandte der anderen Opfer hatten das Angebot angenommen, Susan jedoch nicht. Sie hatte vor allem Christopher nicht alleine lassen wollen; sie hatte gespürt, dass ihre Anwesenheit für ihn wichtiger war als diese Art Pilgerreise für sie. Frank Henty war jedoch nicht überrascht, als sie ihm sagte, dass sie sich nun bereit fühle, nach Russland zu fliegen und sich den Ort anzuschauen, an dem John die letzten Tage und Stunden seines Lebens verbracht hatte. Es war ein Wunsch, den jeder nachvollziehen konnte, ohne dass Susan ihn groß erklären musste.
Susan hatte sich überlegt, dass sie einen gewissen Schutz genießen würde, wenn sie die Agentur bat, die nötigen Arrangements zu treffen – Schutz, wovor auch immer. Sie wusste es nicht. Alles, was sie wusste, war, dass sie in der Fremde nicht mutterseelenallein auf eigenes Risiko reisen wollte.
Sie erzählte niemandem vom wahren Grund ihrer Reise, nicht einmal ihrem Vater. Warum sollte sie ihn unnötig in Sorge versetzen. Außerdem wusste sie nicht einmal genau, was sie eigentlich zu finden hoffte. Sie wusste nur, dass einige Menschen einen mysteriösen Tod gestorben waren: erst ihr Mann und sein Team und nun Dan Samples. Und diese Todesfälle waren irgendwie
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