Epsilon
steil abfallenden Grabens. Als das Wasser seine Brust erreichte, stieß er sich ab und begann zu schwimmen – und versank rudernd und würgend unter der Oberfläche.
Einen Augenblick lang wusste er nicht, was geschehen war. Eine Fehleinschätzung oder der ungewohnte Körper, in dem er steckte, hatten ihn wohl beeinträchtigt, sodass er seinen kräftigen Schwimmstoß einfach verpatzt hatte. Das konnte schließlich jedem passieren. Charlie war ein Meisterschwimmer. Er brauchte nur seine Arme und Beine in der gewohnten Weise zu gebrauchen, und er würde schon wieder mit dem Kopf aus dem Wasser auftauchen. Und dann würde er die wenigen Meter bis zu Kathy problemlos hinter sich bringen.
Doch sosehr er sich auch anstrengte, er konnte die Oberfläche nicht finden. Wie er sich auch drehte und wendete, er schien nur aus einem Bündel wild rudernder Gliedmaßen zu bestehen, ebenso unfähig, eine gezielte Richtung einzuschlagen, wie sich einfach nur treiben zu lassen. Charlie spürte, wie er hilflos auf den Grund des V-förmigen Grabens sank. Er versuchte, die eine Seite zu erklimmen, dann die andere – welche, war ihm inzwischen egal. Er wollte nur noch die Oberfläche erreichen und seine berstenden Lungen mit Luft füllen. Doch der Boden war zu glatt, um ihm Halt zu bieten. Jedes Mal, wenn er ein paar schmerzhafte Zentimeter geschafft hatte, rutschte er wieder ab und sank nach unten.
Mit plötzlicher, erschreckender Klarheit erkannte Charlie, dass er ertrinken würde. Hah! Wenn es einen Ausweg aus seiner teuflischen Lage, aus diesem Albtraum als Schimpanse gab, dann hatte er ihn wohl gefunden. Er brauchte nur noch den Zeitpunkt abzuwarten, an dem er die Selbstkontrolle vollständig verlieren, einen letzten Schrei langsam ersterbender Wut ausstoßen und dabei seine Lungen mit Wasser füllen würde. Das wirbelnde Blau und Weiß und die schmalen Streifen Schatten, die er jetzt sah, würden zu Nichts verblassen. Sein Herz würde zu schlagen aufhören, sein Gehirn würde zu funktionieren aufhören, und die Leiche, die man schließlich aus dem Graben fischen würde, wäre nur noch ein lebloser Körper: Ob Mensch oder Tier, was spielte das noch für eine Rolle?
Plötzlich spürte er, wie die harte Oberfläche, auf der er lag, unter ihm nachgab. Während er fiel, stieß er vor Überraschung unwillkürlich einen Schrei aus. Er erwartete, nur Wasser zu schlucken, stellte jedoch fest, dass er auch Luft bekam. Charlie landete in einem gekrümmten Becken aus rostfreiem Stahl oder einem ähnlichen Material. Das Becken war leicht abgeschrägt, sodass das Wasser, das noch immer über ihm aus dem Graben auf seinen Kopf stürzte, in einen schmalen Rinnstein zu seinen Füßen abfließen konnte. Charlie wälzte sich zur Seite und sah nach oben. Die Öffnung im Wassergraben, durch die er gefallen war, schloss sich bereits wieder wie zwei mächtige Kieferknochen, die das herabstürzende Wasser durchtrennten. Nur wenige Augenblicke später war das Loch nicht mehr zu sehen, und alles war still.
Alles, was Charlie zunächst empfand, war Bewunderung: Bewunderung für die ausgeklügelte Konstruktion des Wassergrabens. Er erkannte nun, dass die gesamte Unterseite aus Segmenten bestand, die vermutlich einzeln geöffnet werden konnten wie jenes über ihm, um ertrinkende… ja, was?… zu befreien.
Charlie betrachtete seinen nassen schwarzen, fellbedeckten Körper. Also geht der Albtraum weiter, dachte er. Er versuchte aufzustehen, doch der nasse Stahl war zu glatt. Charlie rutschte aus und landete mit einem Fuß in dem schmalen Rinnstein, durch den der Rest des Wassers abfloss, und mit dem anderen auf dem harten Betonfußboden, der dahinter lag. Dorthin zog er sich, stand auf und sah sich um. Es schien nur einen Weg hinaus zu geben, eine etwa türgroße Öffnung, hinter der ein erleuchteter Gang lag. Charlie machte sich, ohne zu zögern oder größere Vorsicht walten zu lassen, auf den Weg: Furcht war etwas, das zu einem anderen Leben gehörte, einem Leben, in dem Rationales noch von Bedeutung gewesen war. Was sein jetziges Dasein betraf, so gab es nichts mehr, was ihn noch schockieren konnte.
Auch in dem Gang bestanden Wände und Decke aus mattbeigen Bauteilen. Licht kam von einem schmalen Streifen, der in die Mitte der Decke eingelassen war. Nach wenigen Metern bog der Gang nach rechts ab und endete abrupt nach einigen weiteren Schritten. Charlie suchte in der glatten Wand vor sich nach einem Spalt, der auf eine verborgene Tür hingedeutet
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