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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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dennoch: Sobald er versuchte, sie sich näher anzusehen, die einzelnen Buchstaben voneinander zu isolieren, aus dem Kontext zu reißen und sich genügend auf sie zu konzentrieren, um sie zu reproduzieren, stellte er fest, dass er dazu nicht in der Lage war.
    Es war beinahe zu absurd, um Enttäuschung und Verzweiflung in Charlie aufkommen zu lassen. Absurd wie einer jener Dejá-vu-Momente, in denen die zufällige Überlappung der Synapsen einem vorgaukelt, ein vorbeihuschender, aus den Augenwinkeln wahrgenommener Schatten sei eigentlich etwas ganz anderes.
    Charlie wartete, dass die Lücke, der Spalt, die Kluft sich schließen würde, doch stattdessen wurde sie nur noch breiter, und noch immer geschah nichts. Er strengte sich erneut an, versuchte sich den ersten Buchstaben des ersten Wortes, das er schreiben wollte, vorzustellen. Es war ein… wie hieß es noch gleich? Ein »W«.
    Ja, das war es! Drei, nein vier Striche, an den Enden miteinander verbunden. Vorsichtig streckte er den Pinsel aus und malte etwas auf die Leinwand. Er sah sofort, dass es nicht das war, was er wollte. Für den ersten Strich des ersten Wortes schien es irgendwie falsch zu sein. Konnte es als eine der anderen Linien für den ersten Buchstaben dienen? Hatte er davor genügend Platz gelassen, um etwas einfügen zu können, ganz zu schweigen vom Platz dahinter? Platz für alles, was danach kommen musste? All die anderen Striche, Kurven und Punkte, die er noch immer deutlich vor seinem inneren Auge stehen hatte?
    Er konnte sie sehen, oder? Nein, er war sich sicher, dass er es konnte. Warum war er also nicht in der Lage, die Wörter in ihre Einzelteile zu zerlegen und nacheinander auf der Leinwand wiederzugeben? Das konnte doch nicht so schwer sein!
    Sein Pinsel strich hier und dort über die Leinwand, doch nie so, wie Charlie es wollte. Was immer ihm vor Augen schwebte, entzog sich ihm; er war außerstande, es auf der Leinwand nachzuvollziehen. Charlie wusste nicht, ob es an mangelnder Schreibfähigkeit oder mangelnder Vorstellungskraft lag. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es ein solches Ausmaß an innerer Verwirrung gab.
    Die Striche, mit denen er die Farben auftrug, wurden immer wilder, bis die Leinwand Risse bekam. Und dann, mit einem Schrei der Wut, der Verzweiflung und undefinierbarer, doch erdrückender Angst, brach Charlie die Staffelei entzwei, schlug sie zu Kleinholz und verstreute die Farben und Pinsel im ganzen Käfig.
    Er drehte sich erst um, als er hinter sich aufgeregte Stimmen vernahm. Zwei, drei Männer in Laborkitteln waren an den Käfig getreten, gefolgt von zwei Männern in Anzug und Krawatte.
    »Gibt es ein Problem, Dr. Flemyng?«
    Es war der kleinere der beiden Männer im Anzug, der gesprochen hatte. Sein Haar war fettig und streng aus dem Gesicht zurückgekämmt, das rosig und wohlgenährt aussah.
    »Nur ein Wutanfall«, erwiderte Kathy. »Kein Problem.«
    Charlie beobachtete, wie der andere Mann ein paar Schritte auf den Käfig zu machte. Er musste um die fünfzig sein, ein oder zwei Jahre älter als der Mann, mit dem Kathy gerade gesprochen hatte, aber größer als dieser, und er trug eine randlose Brille. Er wirkte wie ein schüchterner, aber wissbegieriger College-Professor, der alles, was um ihn herum vor sich ging, genau beobachtete – und genau dafür hielt Charlie ihn auch.
    »Ist er das?«, fragte er und musterte Charlie noch näher. Er hatte eine helle, sehr klare, aber brüchige Stimme.
    »Lehnen Sie sich nicht zu weit über diese Abgrenzung, General«, warnte der Mann mit dem fettigen Haar und eilte an die Seite des anderen.
    Charlie registrierte erstaunt die Rangbezeichnung »General«. Darauf wäre er nie im Leben gekommen!
    »Sie sind stark, und sie sind bösartig«, fuhr der Mann fort. »Selbst die Pfleger wagen sich niemals auf Armlänge an einen ausgewachsenen Schimpansen heran. Sie sind etwa achtmal stärker als ein menschliches Wesen.«
    Der General warf Charlie einen skeptischen Blick zu. »Ich dachte immer, Schimpansen wären freundliche kleine Burschen.«
    »Nur die Babys. Die, die man in netten, harmlosen TV-Shows sieht. Ein ausgewachsenes Männchen wiegt an die zweihundert Pfund.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Schon gut, alles in Ordnung hier! Sie können zurück an Ihre Arbeit gehen.«
    Die drei Männer in den Laborkitteln entfernten sich, doch Kathy blieb zurück. Charlie nannte sie in Gedanken noch immer Kathy, trotz des anderen Namens, mit dem der Mann sie angesprochen

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