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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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hatte, auf die gleiche Art und Weise, und Charlie vollführte bei jedem dasselbe Ritual. Es kam ihm nun ganz natürlich vor. So war es nun einmal Brauch bei Schimpansen. Charlie wusste es.
    Die einzige Frage, die ihm dabei keine Ruhe ließ, lautete:
    Woher wusste er es?

31
    Latimer Wests Büro lag im obersten Stockwerk des Hauptgebäudes. Wenn Susan die Ruhe dazu gehabt hätte, hätte sie bemerkt, dass man von dort aus eine schöne Aussicht hatte. Doch sie war stets zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.
    Der Raum glich eher einem Büro, wie man es in Privatwohnungen und nicht in Firmen oder Geschäftshäusern findet. Susan nahm an, dass Wohnräume angeschlossen waren, obwohl sie nicht wusste, ob West hier ständig lebte – zumindest solange er seine jetzige Position im Unternehmen innehatte – oder irgendwo anders eine eigene Wohnung besaß. Sie konnte sich ihn gut in New York vorstellen, an der Upper East Side, wo er ein gepflegtes Junggesellendasein führte, Cocktailpartys besuchte und mit Frauen, die ein wenig älter waren als er, in die Oper ging. Sie fragte sich, ob West vielleicht homosexuell war, kam dann aber zu dem Schluss, dass er wahrscheinlich einfach asexuell war. Intimität, welcher Art auch immer, so vermutete sie, würde Latimer West verwirrend und abstoßend finden. Als der Fahrstuhl langsam zum Halten kam, gestand Susan sich jedoch ein, dass sie wohl nicht ganz unvoreingenommen war.
    Die Aufzugtüren öffneten sich direkt zu Wests Büro und schlossen sich leise wieder hinter Susan, kaum dass sie aus der Kabine auf den dicken, weichen Teppich getreten war. West erwartete sie, also gab er nicht vor, dass ihre Ankunft ihn mitten in wichtigen Arbeiten gestört hätte. Zwar erhob er sich nicht, blickte aber von seinem Schreibtisch auf und schenkte ihr ein Lächeln, eines von der diplomatischen Sorte, wie Susan fand, mit dem er anzudeuten schien, dass es sich bei dem folgenden Gespräch – da die guten Karten eindeutig auf seiner Seite waren – bloß um eine Formalität handelte.
    »Nun, Susan«, begann er, lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen auf eine Art und Weise aneinander, die Susan auf den Tod nicht ausstehen konnte, »was ist so wichtig, dass Sie für heute Mittag um eine Unterredung mit mir gebeten haben? Ich habe ziemlich viel zu tun.«
    »Warum raten Sie nicht einfach?«, erwiderte sie und ließ gleichzeitig alle auf dem Weg nach oben getroffenen Vorsätze fahren, Ruhe zu bewahren. »Könnte gut sein, dass Sie dabei ins Schwarze treffen. Es geht um etwas, worüber Sie zu reden versprochen haben, sobald ich getan habe, was Sie von mir verlangen. Nun, ich habe getan, was Sie wollten, und wenn Sie das auch so sehen, dann möchte ich jetzt gerne mein altes Leben zurückhaben, und auch meinen Sohn und meinen Vater.«
    West verharrte gelassen zurückgelehnt und sah zu Susan auf. Sein Lächeln blieb starr, seine Fingerspitzen schienen wie aneinander geklebt.
    »Ein konkreter Zeitrahmen war nie im Gespräch«, meinte er salbungsvoll. »Ihre Arbeit war erstklassig. Ich bin Ihnen wirklich dankbar für das, was Sie geleistet haben. Ich weiß, dass es manchmal nicht leicht war.«
    Als wolle West jede Erwiderung im Keim ersticken, schwang er auf seinem Stuhl herum und stützte den rechten Ellbogen auf die Schreibtischkante. Es war ein elegantes Manöver, das er mit derart flüssigen, geübten Bewegungen vollführte, dass Susan ihm fast Bewunderung dafür zollte.
    »Aber lassen Sie uns mal vernünftig sein, Susan. Das Projekt ist noch nicht beendet, ebenso wenig wie Ihre Arbeit. Sie haben Ihren Sohn besucht. Es wird gut für ihn gesorgt, und er ist ganz glücklich dort, wo er ist – besonders jetzt, da sein Großvater bei ihm ist. Vielleicht können Sie ihn nicht so oft sehen, wie Sie es gerne möchten, aber Sie werden ihn oft genug sehen. Ich fürchte also, dass unter den gegebenen Umständen unser augenblickliches Arrangement bestehen bleiben muss.«
    Susan blickte eiskalt auf ihn hinab. Es war seltsam: Sie hatte das Gefühl, als könne sie die Kälte, die von ihm ausging, körperlich spüren, als durchbohre bei seinem Anblick ein Eissplitter ihre Netzhaut.
    »Eines Tages«, begann sie und stellte fest, dass ihre Lippen vollkommen ausgetrocknet waren. Sie fuhr sich mit der Zunge darüber, verärgert, dass ihr das mit Sicherheit als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt werden würde. »Eines Tages«, begann sie erneut, diesmal mit mehr Nachdruck, »werden Sie für all das bezahlen. Glauben

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