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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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sein.
    Einen Moment lang ließ Lucy ihren Blick über die Schlucht schweifen. Sie biss die Zähne zusammen. Schweiß rann ihr den Rücken hinab und ihr Herz hämmerte schmerzhaft in ihrem Brustkorb. Es war so hoch! Auf Lucys Seite war die Brücke mit einigen Schlaufen grob geflochtenen Taus an einem Felsvorsprung befestigt. Lucy zog kurz daran, dann betrat sie vorsichtig die Brücke, die sich unter ihrem Gewicht ein wenig senkte. Jeder ihrer Schritte erzeugte Schwingungen, die sich über die gesamte Länge der Brücke fortsetzten, wieder zurückliefen und sie aus dem Gleichgewicht brachten. Die Arme weit ausgestreckt und mit beiden Händen an die Halteseile der Brücke geklammert, schlich sie Schritt für Schritt voran. Sie versuchte, ihre Augen auf die gegenüberliegende Seite zu richten, aber esgelang ihr nicht, ihr Blick wurde immer wieder auf den Grund tief unter ihr gezogen. Das Bett des Kanals war so gut wie ausgetrocknet. Die beiden Wolkenbrüche, die es zu Beginn des Großen Regens gegeben hatte, hatten noch nicht ausgereicht, es wieder zu füllen. Messerscharfe Felsbrocken und Steine lagen auf dem Grund, vermischt mit Bergen von Abfall. Lucy sah einen Kinderwagen, einen verbeulten Kühlschrank mit offen stehender Tür, Stapel durchweichten Papiers, zerrissene Kleider und Decken und die verbogenen Überreste eines alten Metallbetts – die Sorte, wie man sie in Krankenhäusern hat, mit Rädern und Sprungfedern.
    Das Brett, auf das sie jetzt ihren Fuß schob, gab ein lautes Knacken von sich. Im selben Augenblick brach eine Hälfte der Bohle ab und segelte durch die Luft nach unten. Lucys bereits geschwächter Knöchel knickte um, ihr Fuß rutschte in das Loch und sie fiel vornüber. Die Brücke schaukelte wie verrückt hin und her und neigte sich gefährlich zur Seite. Lucy war drauf und dran abzurutschen. Sie umklammerte die Taue so fest sie konnte und brannte sich dabei rote Striemen in die Handflächen. In letzter Sekunde konnte sie einen Absturz abwenden. Einige Augenblicke lang rührte sie sich nicht, sondern lag einfach nur da, den Kopf seitlich über dem Rand, und wartete ab, dass die Brücke zu schwingen aufhörte und wieder ins Gleichgewicht kam. Sie kniff die Augen fest zu und versuchte das Bild der Felsen, die wie Speerspitzen vom Grund des Kanals aufragten, aus ihrer Vorstellung zu verbannen. Dann verschob sie ihr Gewicht langsam wieder zur Mitte. Die Brücke fand in die Horizontale zurück.Nachdem ihr Herz zu hämmern aufgehört hatte, zog Lucy ihren Fuß aus dem Loch. Wie bei einer Bärenfalle hatten sich Holzstücke in ihre Jeans und in die Socke gebohrt, die sie als Verband um ihr Fußgelenk gebunden hatte. Ihr Knöchel war übersät mit Kratzern, die wie die Abdrücke von Zähnen aussahen. Von den Knien aus kam sie auf die Füße und tastete sich Zentimeter um Zentimeter weiter voran. Ihre Zähne klapperten so entsetzlich, dass ihr der Schädel wehtat und der Kiefer schmerzte. Etwa auf der Hälfte der Brücke hatte sie einen dicken Schweißfilm im Gesicht, den sie sich nicht abzuwischen wagte. Ihre Beine zitterten. Aber Lucy zwang sich weiterzugehen. Erst als sie die Brücke verließ und wieder festen Boden betrat, gaben ihre Beine unter ihr nach.
    Nach einer geraumen Weile, in der sie die Knie an den Kopf gezogen hatte, stand Lucy wieder auf. Durch den Schweiß klebte ihr das Haar im Nacken und ihre feuchten Arme rieben sich am Futter ihrer Lederjacke. Ihr Hals war ausgedörrt und ihr Magen knurrte vor Hunger. Lucys einziger Gedanke war die brennende Hoffnung, dass sich Aidans Aufenthaltsort, wo immer er sein mochte, in nächster Nähe befand und sie keine weiteren Hängebrücken mehr überqueren musste. Sie betrachtete die Ruinen der Häuser, die Berge zu Staub zerbröselten Betons und die verbogenen Stahlträger. Dies hier schien einmal ein Wohnviertel gewesen zu sein – jetzt war nur noch ein Gerippe davon übrig. Ein kaum erkennbarer Pfad wand sich durch den Schutt und verschwand etwa dreißig Meter weiter zwischen den Überresten zweier Backsteinhäuser. Sie hatten keine Dächer mehr, und ihreFundamente waren derart eingesunken, dass sich die beiden Häuser oben beinahe berührten. Hell Gate – das Höllentor. Die Frage war nur, ob man durch dieses Tor die Hölle betrat oder ob man sie verließ.
    Das Gelände war tückisch und fiel fast überall steil ab. Blöcke aus Schlacke, Sandsäcke und Holzplanken sahen aus wie die verschiedenen Stufen einer gigantischen Treppe. Lucy folgte einem

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