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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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Pfad nach unten, der so schmal war, dass er einer Ziege Schwierigkeiten bereitet hätte. Sie ging langsam, prüfte immer wieder den Untergrund, der lose war und mit Gesteinsbrocken durchsetzt. Sie hielt nach Menschen Ausschau. Nach Plünderern. Banden umherwandernder Diebe, die die Straßen nach allem absuchten, was noch einmal gebraucht oder weiterverkauft werden konnte. Es ging das Gerücht, dass sie sogar Leichen die Goldkronen aus dem Mund stahlen.
    Mit einem Mal hörte Lucy ein Summen, das seinen Ursprung nur ein kurzes Stück vor ihr zu haben schien, dort, wo die Bergkante steil abbrach. Sie überzeugte sich, dass ihr Messer ungehindert aus der Scheide gleiten konnte, dann ließ sie es wieder los und wickelte sich enger in ihre Lederjacke. Eigentlich war es für diese Jacke viel zu heiß, aber sie verlieh ihr Sicherheit, ließ sie taff aussehen. Langsam ging sie auf das Geräusch zu. Sie hätte nicht sagen können, was es war. Stammte es von einer Maschine, war es Musik oder war es das Gewirr menschlicher Stimmen? An der Bergkante verlief zwischen Holzpflöcken ein Führungsseil. Weiße, mit Draht befestigte Stofffetzen markierten einen Weg. In den tieferen Pfützen lagen Holzpaletten. Lucy blieb stehen. EineBiegung des Pfades um eine Felsnase herum gab den Blick auf die unterhalb liegende Siedlung frei: Zelte, die sich wie Pilze zusammendrängten, Baracken aus grobem Sperrholz. Lucy befand sich etwa fünfzehn Meter über der Quelle des Geräuschteppichs. Sie war mit einem Mal nervös und ging in Deckung. Bäuchlings auf der losen Erde liegend, spähte sie über die Kante. Dabei prasselten ein paar Kiesel den Abhang hinunter. Ein kurzes Stück weiter unterhalb endete der Pfad und öffnete sich zu einem weiten Platz.
    Eine breite Straße, die von der Verwüstung irgendwie verschont geblieben war, führte von dort aus Richtung Süden. Von ihr zweigten in alle Richtungen kleine Fußpfade ab, die zu weiteren Sperrholzbaracken führten und, ein Stück weiter oberhalb, zu den anderen Hängebrücken, die Lucy aus der Ferne gesehen hatte. Der Platz in der Mitte war wohl einmal ein Teil der großen Straße gewesen. Das erkannte man an der verblassten weißen Linie, die durch seine Mitte verlief. Die Asphaltoberfläche war allerdings aufgebrochen und uneben, sodass sie aussah, als bestünde sie aus großen, schwarzen Pflastersteinen. Rund um den Platz waren zurechtgeschnittene Planen und riesige Leinwandbahnen an Pfählen aufgespannt, als Schutz vor Sonne und Regen, die Mitte aber lag unter freiem Himmel.
    In kleinen Gruppen standen mehr Leute zusammen, als Lucy seit jenem Tag, an dem sie das Asyl verließ, gesehen hatte. Es schienen überwiegend kleine Kinder und Jugendliche in ihrem Alter zu sein, und hier und da gab es jemanden mit bereits grauen Haaren – was Lucy nicht erstaunte,denn Menschen mittleren Alters waren von der Epidemie am stärksten befallen worden. Menschen wie Lucys Eltern.
    Sie hörte ein Wirrwarr menschlicher Stimmen, die lustig und heiter klangen. Völlig unerwartet drang Musik zu ihr herauf. Jemand spielt Gitarre, durchzuckte es Lucy, und ein paar singen dazu. Die Leute kamen zusammen und scherzten miteinander. Manche hatten Karren dabei, auf denen sich kaputtes Gerät befand, andere saßen mit übergeschlagenen Beinen auf langen Bänken. Von einer riesigen Feuerstelle stieg Rauch auf und ein großer schwarzer Kessel stand über den Flammen und dampfte. Lucy ließ ihren Blick über die Menge streifen. Sie hielt nach Aidan Ausschau. Bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen, konnte sie einen Schuss Freude, der sie durchzuckte, nicht unterdrücken, und sie musste sich streng in Erinnerung rufen, dass sie ihn nicht mochte.
    Und plötzlich sah sie ihn. Er war größer, als Lucy ihn in Erinnerung hatte. Sein blondes Strubbelhaar, sein rotes Sweatshirt ... Er lehnte an einer halb eingestürzten, mit ausgeblichenen Postern und Graffiti bedeckten Mauer. Lucy konnte sehen, wie er den Kopf in den Nacken warf und über irgendetwas lachte, das seine Begleiterin, ein Mädchen, das sehr nah neben ihm stand, sagte. Danach streichelte ihm das Mädchen die Wange. Selbst aus der Entfernung konnte Lucy erkennen, dass sie gut aussah. Ihr dichtes schwarzes Haar war so glatt, dass es wie geölt wirkte, und in den silbernen Armreifen, die sie an ihrem gebräunten Arm trug, reflektierte das Licht.
    Lucy war ratlos. Sie hatte Meile um Meile tückisches Gelände überwunden, sie hatte alles verloren – bis auf das, wassie in

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