ePub: Drachenhaut (German Edition)
der Peitsche schlug erneut zu. »Auf wessen Befehl hörst du?«
»Auf den des Kronprinzen«, flüsterte der andere.
»Wem gehörst du?«
»Dem Kronprinzen.«
»Wer ist der Kronprinz?«
»Du, Herr«, antwortete der Eunuch. Er atmete schwer, und Lilya war nun nah genug, um sein Gesicht sehen zu können. Tränen liefen über seine Wangen, die hohl waren wie die eines Verhungernden.
Sie starrte den Mann mit der Peitsche an. Der Kronprinz? War das Farrokh, Massinissas Bruder? Was war mit Amayyas geschehen?
Wieder pfiff und klatschte die schwere Peitsche auf den Eunuchen herab. Er sank nach vorne auf seine Hände.
»Du wirst nicht mehr gegen meinen Befehl handeln«, sagte derKronprinz scharf. »Und damit du nicht sagen kannst, du hättest nicht gewusst, wie mein Befehl lautet, wiederhole ich ihn gerne: Du ‒ sollst ‒ ihn ‒ nicht ‒ füttern!« Bei jedem Wort knallte die Peitsche und zog einen neuen, blutigen Striemen über Aspantamans Schultern und Rücken.
Farrokh wandte sich abrupt ab und wickelte die Peitsche im Gehen auf. Lilya verstärkte erschreckt den Zauber um sich und ihre beiden Begleiter, deren Gegenwart sie hinter sich spüren konnte. Hoffentlich blieben sie still stehen, sonst war sie nicht sicher, ob der Zauber über die Entfernung wirkte.
Der prächtig gekleidete Mann streifte so dicht an ihr vorbei, dass sie das Öl riechen konnte, mit dem er seine Haare geglättet hatte. Der Geruch von Flieder und Moschus kitzelten in ihrer Nase und reizten sie zum Niesen.
Dann war er mit einem Rascheln seiner seidenen Kleider vorbei.
Lilya wartete nicht, bis sie seine Schritte auf der Treppe hören konnte, sie löste sich von der Wand, an die sie zurückgewichen war, und eilte zu Aspantaman, der immer noch am Boden kauerte. Sein Atem zischte mit einem schluchzenden Geräusch über die Lippen. Er hob alarmiert den Kopf, als Lilya vor ihm niederkniete und den Schleier des Zaubers verschwinden ließ. Seine Augen weiteten sich. In seinem Blick brannte ein wahnsinniges Feuer. Er wich mit einem Wimmern zurück und hob die Hände, als wollte er sich vor weiteren Schlägen schützen.
»Ich bin es«, sagte sie so leise und beruhigend sie konnte. »Aspantaman, ich bin es doch. Lilya.«
Er fuhr mit der Hand zitternd über seine Augen. »Lilya?«, wiederholte er ungläubig.
Sie hob langsam die Hand und zeigte sie ihm. Die Drachenmale darauf leuchteten in der Dunkelheit. »Ich bin es wirklich. Aspantaman, wo ist Amayyas?«
Er schauderte und zog seine zerfetzten Kleider über der Brust zusammen. Sein Blick tanzte über den Boden. Lilya sah, dass rundum Brocken von halb verfaultem Fleisch auf dem Boden verteilt lagen. Ein verbeulter Blechteller lag umgedreht neben seinem Fuß.
»Er lebt«, sagte Lilya erleichtert. Wen sonst hätte Aspantaman hier mit Fleisch füttern sollen? Wem sonst hätte das Verbot des neuen Kronprinzen gelten sollen?
»Er lebt ‒ noch«, erwiderte der Eunuch, der sich langsam von seinem Schock zu erholen schien. Er beugte sich vor und begann, die Brocken aufzuklauben. Seine Bewegungen waren schwerfällig und steif.
Lilya kniete nieder und half ihm. »Das kann er doch nicht essen«, sagte sie angeekelt. »Aspantaman, das Zeug ist verdorben!«
Er hielt inne und wischte sich fahrig die Hände an seinen Lumpen ab. »Ich weiß«, sagte er und begann zu schluchzen wie ein Kind. »Ich weiß. Aber was soll ich denn tun, Lilya? Soll ich ihn verhungern lassen?«
Sie erkannte, wie nahe er daran war zusammenzubrechen. Durch die zerfetzten Kleider konnte sie seinen Rücken sehen und die alten Narben von Auspeitschungen, neuere Wunden, die rot und entzündet waren, die frisch aufgerissenen Stellen, die blutig glänzten. Sie schüttelte den Kopf und fühlte den Zorn in sich aufblühen wie eine Feuerrose. »Ist das Farrokhs Werk?«, fragte sie gepresst.
Aspantaman antwortete nicht. Er hatte sich halb aufgerichtet und starrte an ihr vorbei. Lilya hörte die sanft flüsternden Schritte. »Das sind Freunde«, sagte sie hastig.
Der Eunuch sank in die Hocke zurück. »Rakshasa«, sagte er leise. »Bringst du ihn mir, damit er meinen Herrn für mich tötet? Ich kann es nicht, Lilya.«
Lilya war stumm vor Mitleid. »Ich will ihn und dich befreien«, sagte sie dann eindringlich. »Wir helfen euch zu fliehen. Amayyas kann bei meinem Rudel unterschlüpfen, Aspantaman. Und dich bringe ich zu meiner Familie in der Wüste.«
Er sah sie so verständnislos an, als hätte sie in einer fremden Sprache zu ihm
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