ePub: Drachenhaut (German Edition)
Und die Gemächer des Prinzen warendementsprechend rechts davon in dem Flügel, der zum großen Park hinausblickte. Sie mussten also zwei gefährliche Passagen überstehen, sowohl durch das Serail selbst als auch durch einen von Höflingen belebten Garten.
»Was machen wir, wenn der Prinz nicht in seinen Gemächern weilt?«
Lilya starrte Yani an. Darüber hatte sie nicht nachdenken wollen. Wie sollte sie Amayyas finden, wenn er nicht an seinem Platz war?
»Er ist immer dort«, erwiderte sie. Ein schneller Blick zum Himmel. Der Mond stieg über dem Fluss empor, er war beinahe voll. Ein paar Tage vor dem Vollmond ‒ war das die Zeit, da der Panther regierte? Oder würden sie doch den schwachsinnigen Zwerg antreffen? Sie wusste es nicht mehr.
Lilya schüttelte den Kopf. »Wir müssen zuerst nach Aspantaman suchen«, sagte sie. »Der Obersteunuch, sein Erzieher. Er wird uns helfen.« Sie erklärte Yani und Udad kurz, wo Aspantamans Quartier zu finden war. »Falls wir uns trennen müssen, treffen wir uns dort.«
Niemand beachtete sie, als sie durch den Wirtschaftsflügel gingen. Yani hatte sich geistesgegenwärtig einen Korb mit Gemüse und Obst von einem Hocker gegriffen, den Udad nun trug; und er selbst marschierte mit erhobenem Kopf hinter Lilya her, die sich ihren Schleier vor Mund und Nase zog und demütig den Kopf senkte. Hin und wieder gab Yani einen laut gebellten Befehl von sich, mit dem er die beiden »Sklaven« durch die Gänge lenkte.
»Links«, flüsterte Lilya, als sie in einer Halle ankamen, von der mehrere Gänge und zwei Treppen abzweigten. »Dann die Treppe hoch und geradeaus.«
»Links«, schmetterte Yani. »Blödes Wüstenpack. Links habe ich gesagt! Bin ich ein verdammter Kameltreiber, oder was?«
Lilya hörte Udad glucksen.
Dann stiegen sie die Treppe hinauf. Der Gang, in den sie gelangten, war fensterlos und wurde durch wenige Öllampen notdürftig erhellt. »Stell den Korb ab«, sagte Lilya. »Dort am Ende des Ganges ist Aspantamans Zimmer. Ich gehe vor.«
Sie gab ihren Begleitern ein Zeichen. Yani deckte ihren Rückzug, und Udad sicherte die Tür zur anderen Seite. Dann klopfte Lilya, wartete und schob schließlich die Tür auf.
Es war dunkel im Zimmer. Auf dem niedrigen Lager lag ein Mann, der sich mit einem erschreckten Laut aufrichtete. »Was willst du?«, fuhr er Lilya an. Er war klein und dick und hatte krauses schwarzes Haar.
»Oh«, sagte Lilya. »Ich bitte um Entschuldigung, ich ‒ ich suche den Obersteunuchen. Ich dachte, das hier sei sein Zimmer.«
Der Mann fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und gähnte. »Der Obersteunuch«, murmelte er. »Homyar wohnt im Westflügel, hinter dem zweiten Hof.« Er sah Lilya misstrauisch an. »Was will eine Sklavin wie du von ihm?«
Lilya antwortete mechanisch, weil ihr vor Schreck eiskalt geworden war: »Er hat mich rufen lassen.« Sie holte Luft und zog den Schleier wieder fest vor Mund und Nase. »Hat dieses Zimmer nicht früher dem Obersteunuchen gehört?«
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte der Mann grantig. »Darf ich jetzt weiterschlafen?«
Lilya entschuldigte sich ein zweites Mal und verließ das Zimmer. Ihre Knie zitterten.
Sie winkte Udad und ging schweigend mit ihm zu der Stelleim Gang, wo Yani wartete. »Etwas Schreckliches muss geschehen sein«, sagte sie leise. Die Bilder aus ihrem Traum standen plötzlich in aller Schärfe vor ihrem Auge. Sie glaubte, das Blut zu riechen. »Aspantaman ist fort und ein anderer ist Obersteunuch.«
Yani flüsterte einen Fluch. Udad blickte sie betroffen an. »Was machen wir jetzt?«, fragte Yani. »Rückzug?«
Lilya legte die Hände vors Gesicht, um nachzudenken. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Amayyas war tot oder er lebte noch und befand sich irgendwo hier im Palast. Sie glaubte nicht, dass der Shâya es riskieren würde, seinen Sohn außerhalb des Serails gefangen zu halten.
Sie hob den Kopf. »Ich brauche einen Platz, an dem ich eine Weile ungestört bin. Dort hinten war eine Kammer, in der Geräte verwahrt wurden.«
Die Tür war unverschlossen und anscheinend wurde die Kammer immer noch als Abstellraum genutzt. Lilya ließ sich auf einem wackeligen Hocker nieder. »Bewacht die Tür«, bat sie. Dann holte sie tief Luft und versenkte sich. Im Geiste ging sie die Male auf ihrer Haut ab. Sie benötigte das Zeichen des Findens. Wie hatte es ausgesehen? Ein Kreis, der durchkreuzt wurde von einem schiefen Gebilde mit Hakenausläufern. Es befand sich ein Stück unter ihrem
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