ePub: Drachenhaut (German Edition)
wollte. »Geh mit Yani hinaus. Ich kann euch nicht beschützen, wenn ich nicht riskieren will, ihn zu verletzen. Wo könnten wir ihn hinbringen? So elend wie er aussieht, werden wir ihn nicht aus dem Palast schmuggeln können. Wir müssen abwarten, bis er seine andere Gestalt annimmt, dann kann Yani ihn tragen.«
Aspantaman schüttelte unglücklich den Kopf. »In drei Tagen«, sagte er. »Ich weiß nicht ...«
Lilya musterte den Panther. Sie musste die Gefühle, die sie bei seinem Anblick überfielen, zurückdrängen, damit sie sie nicht überwältigten: Zorn, Trauer, Mitleid, Sorge ... Sie atmete tief ein und wieder aus. »Könnten wir ihn nicht bis zum Mondwechsel einfach hierlassen?«, dachte sie laut.
»Nein«, erwiderte Aspantaman bestimmt. Er umklammerte die Käfigstäbe so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Keinen Tag länger, Lilya. Er stirbt. Entweder aus Entkräftung oder weil Farrokh ihn töten lässt. Ich kenne den Kronprinzen. Er hat mir verboten, meinen Herrn zu füttern, weil er will, dass Amayyas stirbt. Aber er ist nicht sehr geduldig. Er kommt beinahe jeden Tag hier herunter, um nachzusehen, ob es vorbei ist. Ich habe eine Ahnung, dass er morgen oder übermorgen kommen und ihn töten wird. Er wird es tun, bevor Amayyas sich verwandelt. Noch nicht einmal das Untier Farrokh brächte es über sich, einen hilflosen Zwerg zu erschlagen.« Er wandte sich heftig ab.
Lilya rieb sich über die Augen. »Wir müssen ihn irgendwo hier im Serail verstecken, bis er sich etwas erholt hat«, sagte sie. »Aspantaman, bitte, konzentriere dich. Wo können wir uns verstecken?«
Yani, der an der Tür lehnte, räusperte sich. Lilya sah ihn fragend an. »Was ist mit den Gemächern des Kronprinzen?«
»Farrokhs ...«, begann Lilya verwirrt, aber dann verstand sie. »Aspantaman ‒ was ist mit Massinissas Gemächern? Wer wohnt jetzt darin?«
Der Eunuch schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Ah«, sagte er. »Dein junger Begleiter ist ein kluger Mann. Natürlich, sie sind verschlossen worden. Niemand betritt sie. Der Fluch hält alle davon fern.«
Lilya lachte vor Erleichterung auf. Die Angst, dass der Fluch, der auf dem Prinzen lag, auch seine Gemächer zu einem verfluchten Ort machte, würde ihnen helfen. »Yani, du bist unsere Rettung«, sagte sie. »Dann ist alles gut. Aspantaman, führe Yani dorthin. Ich komme mit dem Prinzen nach.«
»Wie willst du ihn zähmen?« Aspantaman zögerte an der Tür. »Und ich weiß nicht, ob der Käfig noch in seinem Schlafgemach steht. Wir können ihn dort aber nicht frei laufen lassen, er würde uns töten.«
»Das wird meine und Udads Aufgabe sein«, erwiderte Lilya scharf. »Geht jetzt, bitte. Lasst uns allein.«
Yani schob den widerstrebenden Eunuchen kurzerhand aus der Zelle. Die Tür fiel zu. Lilya blickte Udad an und nickte. »Du hältst dich zurück«, sagte sie leise. »Ich werde zuerst versuchen, mit ihm zu reden. Wenn ich scheitere, brauche ich deine Kraft.«
Sie holte noch einmal tief Luft, zog die Tür auf und betrat den Käfig.
G EJAGTE
Die sich öffnende Tür seines Gefängnisses riss ihn aus seiner Lethargie. Dunkel lasteten die Schleier des nahenden Todes schon auf ihm, und er musste kämpfen, um überhaupt auf die Beine zu kommen. Endlich stand er schwankend da und knurrte seine Henker bedrohlich an, die furchtsam an der Tür stehen geblieben waren.
Nur nicht im Liegen sterben wie ein waidwundes Rehkitz. Stehend dem Tod entgegensehen, einen von ihnen mitnehmen. Ein letztes Mal zupacken, reißen, Blut schmecken, bevor es das eigene Blut sein würde, das heiß aus seiner zerfetzten Kehle, seinem durchbohrten Leib schießen und den schmutzigen Boden röten würde.
Er blinzelte und sah, dass einer der beiden ein Leopard war. Er wusste, damit war sein Schicksal besiegelt. Wenn er noch gehofft hatte, zwei Menschen zu überwältigen, was auch in seinem geschwächten Zustand durchaus möglich gewesen wäre, dann sah er diese Hoffnung jetzt zunichtegemacht. Gegen einen der Jagdleoparden des Königs würde er im Kampf nicht bestehen können.
Schatten legten sich auf seinen Blick. Er keuchte, zwang sich,bei Bewusstsein zu bleiben. Fachte den Zorn an, der tief in seinem Herzen nur noch in einem schwachen Funken glomm. Töten. Sterben.
Er duckte sich zum Sprung.
»Massinissa«, sagte Lilya leise. »Amayyas. Erkennst du mich?« Ihre Stimme drohte zu brechen. Der Panther stemmte sich auf die Füße, sank wieder zurück, kam taumelnd zum Stand.
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