ePub: Drachenhaut (German Edition)
labyrinthischen Keller fand sie leicht mithilfe des Findezaubers. Dann konnte sie sich ganz und gar darauf konzentrieren, Udad und den Prinzen verborgen zu halten, denn sie konnte sich erstaunlicherweise noch gut an den Weg zu Amayyas Gemächern erinnern.
Sie ging mit gesenktem Kopf und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier. Es war ein Glück, dass es hier im Serail so viele Sklavinnen aus dem Wüstenvolk gab. So fiel sie im Wirtschaftstrakt nicht auf. Erst als sie den ersten Hof überquerten und sich den Räumen des Hofstaates und der Beamten näherten, musste sie sich mehrmals fragen lassen, was sie hier trieb. Ihre Antwort, der Obersteunuch Homyar habe nach ihr geschickt, traf auf keinerlei Verwunderung oder Misstrauen. Anscheinend fand der neue Obersteunuch Vergnügen daran, sich Sklavinnen in sein Bett zu bestellen.
Lilya schritt schneller aus. »Geht es noch?«, fragte sie leise. Sie glaubte, das Schnaufen Udads zu hören. Er atmete schwer, aber sein verschwommener Schatten blieb unbeirrt an ihrer Seite. »Es ist nun nicht mehr weit.«
Nach der Überquerung des zweiten Hofes blieb sie einen Moment lang im Schatten des Torbogens stehen und beobachtete den Garten. Um diese Nachtzeit und bei der lauen, duftenden Luft waren viele Höflinge auf den gekiesten Wegen unterwegs. Sie würde es nicht schaffen, ungesehen in das innere Gebäude zu gelangen.
Lilya stützte sich kurz gegen den Pfeiler. Sie spürte den langen, anstrengenden Tag in ihren Gliedern. Aber es nützte nichts, wenn sie klagte. Eine letzte Anstrengung, dann waren sie alle in Sicherheit. Vorläufig.
Sie schloss die Augen, sammelte sich und verstärkte den verbergenden Zauber so weit, dass sie ihn auch über sich selbst legen konnte.
Die Welt verschwamm für einen Moment vor ihren Augen, dann sah sie wieder klar. »Es geht weiter«, sagte sie zu Udad, der schwer atmend neben ihr stand. Amayyas auf seinem Rücken regte sich nicht. Lilya erschrak. Sie legte die Hand auf seine Flanke und suchte nach seinem Herzschlag, nach einer Atembewegung. Es dauerte lange, bis sie ein Beben unter ihren Fingern fühlte. Er lebte, aber sein Leben verrann.
Lilya schüttelte sich und glitt in ihre Leopardengestalt. So war es schwerer, den Zauber aufrechtzuerhalten, aber sie musste Udad helfen, der vor Erschöpfung zitterte. Sie schob sich an seine Seite und half ihm, den Prinzen zu tragen.
Vorsichtig, aber so schnell wie möglich, liefen sie weiter, durchdie marmorglatten Hallen und Gänge des Palastes, sie rannten achtlos an vergoldeten Türen und ebenholzdunklen Wandverkleidungen vorüber, an geschnitzten Bildnissen und juwelenbesetzten Tischen, an Elfenbeinintarsien und seidenen Wandteppichen, bis sie schließlich an der Tür angelangt waren, die zu des Prinzen Gemächern führte. Lilya keuchte inzwischen beinahe so heftig wie Udad. Sie stieß mit der Schulter gegen die Tür, die verschlossen war, knurrte einen Fluch und ließ das Verbergezeichen verschwinden. »Öffne«, dachte sie mit Wucht und schickte das gelb schimmernde Schlüsselzeichen in das Schloss der Tür. Das Schloss knackte, die Tür sprang auf und Udad rettete sich mit letzten Kräften über die Schwelle. Lilya folgte ihm auf den Fersen und schloss die Tür, indem sie dagegensackte.
»Yani«, rief sie. »Hilf uns.«
Der junge Wüstenmann stand schon neben Udad und half ihm, den Pantherprinzen auf den weichen Teppich zu betten. Aspantaman eilte herbei, Angst in den Augen und ein flaches Becken mit Wasser in den Händen. Udad stöhnte und fiel beinahe mit dem Kopf hinein. Während er trank, verwandelte er sich in einen Menschen, der keuchend und mit nassem Gesicht auf Händen und Füßen kniete. »Das war knapp«, sagte er und stöhnte, weil ihn ein Krampf packte.
Lilya kam an seine Seite und massierte ihm die Schultern. »Du hast Amayyas gerettet«, sagte sie und küsste ihn aufs Ohr. »Leg dich hin, ruh dich aus. Jetzt bin ich an der Reihe.«
Aspantaman kniete neben dem reglosen Amayyas. Er hob den Kopf und sah Lilya verzweifelt an. »Er ist tot«, sagte er.
Lilya legte ihre Hände wie vorhin auf Kopf und Flanke des Panthers. Sie horchte, fühlte, schüttelte den Kopf. »Da ist nochLeben«, sagte sie, »aber es ist nur noch ein schwacher Funke.« Sie legte das Gesicht in die Hände. »Ich bin so müde«, sagte sie. »Aber wir können nicht warten, bis ich mich ausgeruht habe. Es muss jetzt geschehen. Wenn ich nur wüsste, was zu tun ist.«
Sie glitt mit Geistesfingern über ihre Zeichen.
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