ePub: Drachenhaut (German Edition)
Heilung. Das Zeichen, das die Wunden schließen würde. Dann Stärke. Der Panther war vollkommen entkräftet und nahezu verhungert. Schlaf. Das war immer gut, um das Zeichen der Heilung zu unterstützen. Ruhe ‒ für den Geist des Prinzen, der nicht weniger aufgewühlt und verwirrt war als der seines Erziehers.
Sie seufzte und hob den Kopf. »Ich werde tun, was ich kann.«
Lilya bat Aspantaman um einen Schluck Wasser. Der Eunuch brachte es ihr und dazu einen Teller mit frischen Früchten. Er lächelte, als sie ihm überrascht dafür dankte.
Yani, der es inzwischen übernommen hatte, Udads Schultern und Rücken zu massieren, erklärte: »Er hat, bevor ihr kamt, alles Mögliche zu essen aus der Küche gekl... geholt.« Sein Blick, mit dem er den Eunuchen bedachte, sprach von äußerster Hochachtung.
Aspantamans Lächeln wurde breiter. Damit erinnerte er Lilya an sein altes Selbst, obwohl er viel magerer und kraftloser wirkte als noch vor einem Jahr. »Obst, Brot und Reste von Mahlzeiten der Herrschaft kann ich leicht besorgen. Schwieriger ist frisches, rohes Fleisch.« Das Lächeln verblasste und er sah besorgt von Amayyas zu Udad. »Kann er ...?«
»Er kann«, erwiderte Udad und biss herzhaft in einen Apfel.
Lilya aß ebenfalls einen Apfel und eine Handvoll Feigen, dann bat sie die anderen, sie nicht mehr zu stören.
Sie setzte sich im Schneidersitz vor den bewusstlosen Panther und sammelte sich. Noch nie zuvor hatte sie vier der Zeichen gleichzeitig beschworen. Sie war nicht sicher, ob das überhaupt etwas war, was sie bewältigen konnte. Aber auch, wenn sie es noch nie zuvor getan hatte ‒ Lilya wusste, dass es dem Prinzen keine Heilung bringen würde, wenn sie die Zeichen nacheinander beschwor. Es musste auf einen Schlag gelingen oder die erhoffte Wirkung würde verpuffen.
Heilung. Das Zeichen der Rose mit verschlungenen Dornenranken. Rot, natürlich. Stärke. Ein Dreieck, von zwei Blitzen durchkreuzt. Violett. Schlaf: eine weiche, mehrfach ineinander verknotete Linienführung in Blautönen, die von zartem Azur bis zu sattem Nachtblau verliefen. Ruhe: dünne Gitterlinien, Grau und Grün.
Lilya spürte das Zittern ihrer Nerven und legte die Hände ineinander, um ihre Kraft zu lenken. Die vier Zeichen flackerten vor ihrem Blick, und es gelang ihr, sie alle zu sehen und einigermaßen stabil zu halten. Jetzt kam die nächste Schwierigkeit. Mit dem Atemzug, der die Zeichen zu Amayyas schickte, musste sie zwei davon umkehren. Die Dornenrose musste in einem sonnenhellen Goldton erstrahlen und das Dreieck sich von Violett in ein sattes Erdbraun mit tannengrünen Blitzen verwandeln und dabei von der Spitze auf die Basis gedreht werden.
Lilya hielt den Atem an, bedachte noch einmal die nötigen Transformationen und atmete aus.
Rot und Gold, Violett und Braun, Grün und Blau, Zacken und Kurven, Spitzen, Dornen und sanfte Schwünge. Die vier Zeichen verschmolzen zu einem, das in einer Fülle von Farben und Formen schier zu bersten schien. Es schwoll an, bis es dasZimmer ausfüllte, und zog sich dann mit einem schwirrenden Geräusch wieder so weit zusammen, bis es nur noch den reglosen Panther umhüllte. Amayyas lag in der Mitte eines Gespinstes aus grell strahlenden Fäden, die von Mitternachtsviolett über Blutrot, Goldorange, Blassgelb und Pfefferminzgrün in ein strahlendes Königsblau changierten. Das Gespinst flammte blendend weiß auf und erlosch, wobei das Nachbild noch eine Weile in einem schmerzhaften, rötlichen Schwarz auf Lilyas Netzhaut verharrte.
Amayyas streckte sich und knurrte stöhnend.
Aspantaman stürzte vom Fenster, wo er still gesessen hatte, zu ihm und legte seine Hände auf den Kopf des Panthers. »Amayyas«, sagte er drängend. »Mein Prinz. Hörst du meine Stimme?«
Der Panther öffnete langsam die Augen und erwiderte den Blick des Eunuchen klar und ohne den vorherigen fiebrigen Glanz, der in seinen Augen gelegen hatte. Dann senkte er langsam den Kopf und fiel in einen Schlaf der Erholung.
Aspantaman fuhr mit beiden Händen über die Schultern, Beine und die Flanken des Panthers. »Seine Wunden sind verheilt«, sagte er mit unverhohlenem Staunen. »Hier ist nur noch Schorf und dort, wo die schlimme Entzündung war, eine Narbe.«
Lilya sank auf ihre Fersen zurück und legte ermattet das Gesicht in die Hände. »Ich bin froh«, flüsterte sie. »Er wird leben. Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wie wir ihn von hier fort ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Weit entfernt spürte
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