ePub: Drachenhaut (German Edition)
sein.«
Der Naga legte den Kopf auf die Seite und musterte sie. »Du kannst nicht wissen, was es mit dir macht, ehe du es probiert hast.« Sein Tonfall war neutral, aber sie sah das amüsierte Glitzern in seinen Juwelenaugen.
Lilya schüttelte den Kopf. »Das wünschst du dir«, sagte sie. »Ich probiere meine Drachenkraft und sitze dann in der Falle. Was, wenn mir das Ergebnis nicht gefällt?«
»Warum sollte es das? Du hast es doch schon getan. Die Tür in der Drachenburg ...«
»... war ein Kinderspiel«, fauchte Lilya. »Halte mich nicht für dumm, Naga!«
»Das tue ich nicht.« Er lächelte und stand auf. »Gut, dann verfahre auf deine Weise. Aber du musst wissen, dass du damit nicht nur dich unnötig in Gefahr begibst, sondern auch deine beiden Schützlinge.« Sein Blick streifte den Pantherprinzen. Lilya glaubte, einen winzigen Funken von Ärger in seinem Blick zu erkennen.
»Du verlierst deine Wette, wenn ich ihn erlöse«, sagte sie.
Der Naga zuckte gleichgültig die Achseln. »Ja. Und?« Er wandte sich ab. »Die Wette war nur ein Vorwand. Der Shâya ist es, den ich treffen wollte.«
Lilya lachte bitter auf. »Das ist dir nicht gelungen, Naga. Er tötet weiter, und Farrokh ist schlimmer, als es Amayyas je gewesen wäre.«
Der Schlangengott hob eine Braue. »Woher willst du das wissen?«
Er war verschwunden, ehe Lilya etwas erwidern konnte.
Sie atmete tief durch, um ihren Ärger zu bezwingen, und schloss dann die Augen. Das Zeichen des Verbergens hätte sie mittlerweile im Schlaf beschwören können. Es stand hell vor ihr im Raum, und nur der Umstand, dass sie es über zwei große Leoparden werfen musste, kostete sie Kraft. Sie öffnete die Augen und sah besorgt auf Udad und Amayyas. Aber unter dem schimmernden Netz des Zauberzeichens waren die beiden großen Katzen nur noch schemenhaft zu erkennen ‒ also würden andere als ihre eigenen Augen dort nichts sehen, was ungewöhnlich erschien. Sie lächelte erleichtert. »Gehen wir«, sagte sie. »Halteteuch dicht vor mir, damit ich es sofort erkenne, wenn der Zauber löchrig wird!«
Sie zog ihren Schleier vor Mund und Nase und ordnete die weite Kapuze ihres Djilbabs: nicht zu weit ins Gesicht gezogen, damit sie nicht verdächtig wirkte, aber weit genug, um einen Schatten zu werfen. Dann nickte sie den beiden Leoparden zu und öffnete die Tür.
Schon nach wenigen Schritten stießen sie auf die erste Wache. Der Mann stand am Kopf der Treppe und starrte Lilya misstrauisch an. »Wohin gehst du? Woher kommst du?«
Sie senkte den Blick und flüsterte: »Der Obersteunuch ...« Mehr musste sie nicht sagen. Der Wächter grinste breit und gab die Treppe frei.
Es war deutlich zu spüren, dass das Serail sich im Aufruhr befand. Laute Stimmen, die Kommandos riefen, Schritte in schweren Stiefeln, wo sonst nur Pantoffeln über den Marmor flüsterten, das Rasseln von Säbeln, zuschlagende Türen, Protestrufe. Das Serail wurde systematisch durchsucht.
Lilya lief unbeirrt mit gesenktem Blick weiter, obwohl ihre Nerven aufs Äußerste angespannt waren. Nirgendwo waren Bedienstete oder Sklaven zu sehen ‒ anscheinend hatte es eine Anweisung gegeben, dass alle in ihren Quartieren zu bleiben hatten. Sie fiel auf wie ein angemaltes Ferkel auf dem Frühlingsfest.
Trotzdem gelangten sie ohne weiter behelligt zu werden bis zum ersten Hof. Das Tor ins Freie lag vor ihnen, Lilya hörte das Rollen von Karrenrädern, die Rufe der Eseltreiber, Lachen und Schwatzen, Kindergeschrei.
Und sie hörte den Ruf: »Haltet das Mädchen fest! Zauberwerk!«
Lilya begann zu laufen, aber von rechts und links kamen Wächter herangerannt, verstellten ihr den Weg und packten sie.
»Lauft«, rief sie. Sie sah, wie der verschwommene Umriss des einen Leoparden einen Satz auf das Tor zumachte, der andere zögerte, wandte sich zu ihr um.
Es waren nur noch ein Dutzend Schritte bis in die Freiheit ‒ aber vor ihrem entsetzten Blick schloss sich langsam das Tor des Serails und sperrte sie alle ein.
E RLÖSUNG
Der alte Mann riss ihr die Kapuze vom Kopf und zerrte mit zittrigen Fingern an ihrem Schleier, während er unablässig »Zauberwerk, Zauberwerk« schrie. Lilya beobachtete wie aus weiter Ferne die Tröpfchen, die von seinen Lippen sprühten und glitzernd in seinem weißen Bart hingen. Der grobe Griff des Soldaten, der ihre Arme verdreht und auf den Rücken gebogen hatte, sodass sie sich nicht mehr weiter wehren konnte, schmerzte ebenso wie ihre Wange, wo sie sein Fausthieb getroffen
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