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ePub: Drachenhaut (German Edition)

ePub: Drachenhaut (German Edition)

Titel: ePub: Drachenhaut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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»Danke. Darin mag ich mich ansehen.«
    Er strich ihr über die Wange und sah dabei prüfend auf ihr versehrtes Auge. »Bereitet es dir in letzter Zeit wieder Schmerzen, mein Kind?«
    Sie legte unwillkürlich die Hand über das Auge. Ihre Finger waren zart, aber die Haut der Hand wie die des ganzen Armes trug die Spuren des Feuers. Der alte Mann legte seine große Hand auf ihre und fühlte die magischen Schwingungen, die immer noch durch das Fleisch und die Adern des Armes summten. Es war doch schon so lange her, aber die Wirkung des Zaubers ließ nicht nach. An manchen Tagen, so wie heute, schien es ihm sogar, als würde er sich verstärken, und das ließ sein Herz schneller schlagen.
    »Ich muss die Sterne befragen«, sagte er. »Heute Nacht wäre ein guter Zeitpunkt dafür.«
    Lilya kniete zu seinen Füßen. »Darf ich dir zusehen?«, bat sie. »Du hattest mir doch versprochen, dass du mir zeigst, wie ...«
    »Nicht heute Nacht«, wies er sie sanft, aber doch bestimmt ab. »Dies ist eine schwierige Berechnung selbst für einen erfahrenen Magush. Ich will dich gerne in der alten Kunst unterweisen, wenn du dich stark genug fühlst, aber lass mich den rechten Zeitpunkt auch dafür erst berechnen. Sei geduldig, Lilya. Dein Großvater ist kein junger Mann mehr.«
    Sie drängte nicht weiter, denn so gut kannte sie Kobad, dass sie wusste, wann er nachzugeben bereit war und wann nicht.
    Der volle, große, buttergelbe Mond wanderte unbemerkt hinter den dicken Vorhängen die Himmelsleiter empor, während sie saßen und sich über die Bücher unterhielten, die Kobad für Lilya herausgesucht hatte.
    Ein schwerer Band voller Beschreibungen und Illustrationen erweckte ihre Neugier. Lilya blätterte darin, während der Beg in seinen Schränken nach einem Astrolabium für sie suchte. Bilder von Harpyien und geflügelten Pferden fesselten ihren Blick. Sie betrachtete die Abbildungen von menschenfressenden Mantikoren mit Männerkopf, Löwenleib und giftigem Stachelschwanz und staunte über den großen Simurgh, ein geflügeltes Mischwesen aus Hund und Adler, und den Vogel Roch, der so groß war wie ein Haus. Sie blätterte gebannt von Seite zu Seite, las die Beschreibungen von Dämonen und Ungeheuern und schauderte vor den Zeichnungen zurück.
    Ein Wesen, das aussah wie ein schlangenköpfiger Mensch, fesselte ihren Blick besonders. Sie betrachtete die Illustration, die sich auf der Buchseite zu bewegen schien. Blinzelte das starre Auge? Züngelte die gespaltene Zunge? Glitzerte das Licht auf dem Schuppenkopf?
    Lilya schrak zusammen, als ihr Großvater ihr die Hand auf die Schulter legte und sie anrief. »Es ist nun Zeit für dich, mich zu verlassen«, sagte er. »Die Sterne stehen am rechten Ort, ich muss an meine Arbeit.«
    Er stapelte die Bücher in Lilyas Arme und sah sie besorgt an. »Warum willst du sie tragen? Ich rufe einen Sklaven, der sie in deine Gemächer bringt.«
    Lilya wehrte ab. Sie wollte keines der Bücher in die Obhut eines anderen geben, und sei es auch nur für den kurzen Weg durchs Haus.
    Das Astrolabium war es schließlich, das sie ins Straucheln brachte. Lilya hatte sich entschieden, die Abkürzung durch den Küchenhof zu nehmen, weil sich dort in der Dunkelheit gewöhnlich keine Menschenseele aufhielt. Es war stockfinster in dem schmalen, von hohen Mauern umschlossenen Hof. Fledermäuse schwirrten durch die Dunkelheit, und in der Ecke mit den Abfallbehältern raschelte und knisterte es. Lilya tastete sich langsam voran, und als sie auf der Höhe des Küchentraktes schon glaubte, die Klinke zur Gangtür unter ihren Fingern zu spüren, blieb sie mit dem Fuß an etwas hängen, stolperte vorwärts, fing sich und den schwankenden, ins Rutschen geratenen Bücherstapel aber wieder auf ‒ und von seinem obersten Gipfel löste sich gemächlich das metallene Astrolabium und schepperte mit Donnergetöse in der stillen Nacht zu Boden.
    »Ach«, entfuhr es Lilya.
    Die Küchentür öffnete sich, und matter Lampenschein erhellte das Stückchen Hof, in dem Lilya stand und blinzelnd ins Licht sah. Sie hätte gerne ihren Schleier vors Gesicht gezogen, aber da sie keine Hand frei hatte, wandte sie nur den Kopf ab und sagte: »Geh wieder hinein. Es ist nichts geschehen.« Und, nach einer winzigen Pause: »Danke.«
    Doch ihre Worte schienen keinerlei Wirkung zu haben, denn nun hörte sie, wie Schritte sich näherten. Sie drehte sich vollends vom Licht weg, rief: »Nun geh doch schon wieder hinein!«, und im gleichen Augenblick

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