ePub: Drachenhaut (German Edition)
Sie schlang die Arme um sich.
Der Junge sah sie ausdruckslos an. Das weiche Licht der Lampe legte einen rötlichen Schimmer über sein Haar und ließ seine karamellfarbenen Augen wie dunklen Honig leuchten. »Du müsstest es doch wissen«, sagte er. »Du bist doch auch eine von uns.«
»Bin ich nicht!« Lilya bemerkte, dass sie ihn anschrie, und legte die Hand gegen ihre Schläfe, die heftig zu klopfen begonnen hatte. »Bin ich nicht«, wiederholte sie gedämpft. »Ich bin eine Sardari. Der Beg ist mein Großvater.«
Yani nickte hastig. »Ich wollte dich nicht erzürnen, Banu.« Er kniete mit einer geschmeidigen Bewegung nieder und senkte die Stirn demütig auf den Boden.
Lilya bemerkte, dass ihr das auch nicht gefiel. »Steh auf«, sagte sie energisch. »Du sollst nicht vor mir herumkriechen, das mag ich nicht leiden.«
Er erhob sich und lächelte sie an. »Du bist gar nicht so eklig, wie alle sagen.«
Lilya klappte der Mund auf. »Also ...«, sagte sie. »Na also, hör mal ...« Ihr fehlten die Worte, und das geschah selten genug.
Die Stirn des Jungen rötete sich. »Ich und mein Mundwerk«, sagte er zerknirscht. »Ich bitte um Vergebung, Banu. Lasst mich nicht auspeitschen, bitte.« Er sah sie flehend an, aber in seinen karamellbraunen Augen glitzerte ein mutwilliger kleiner Dämon.
In Lilyas Kehle kitzelte es, als krabbelten kleine Falter darin auf und ab. Sie gluckste, dann begann sie zu lachen.
Der Junge lächelte breit und lachte tief und leise mit ihr.
Lilya bezwang sich und legte den Finger auf den Mund. »Schsch«, hauchte sie. »Ich will nicht, dass Ajja aufwacht und dich hier sieht.« Sie spürte, dass ihre Wangen sich röteten. »Danke für deine Hilfe, Yani. Du darfst dich nun entfernen.« Sie fand selbst, dass diese Worte nicht so freundlich klangen, wie sie es gewollt hatte, aber sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Wie verabschiedete man sich von einem Küchensklaven?Sie hob hilflos die Schultern und sagte: »Du bist sehr nett zu mir gewesen. Aber nun solltest du gehen.«
Das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. Er neigte den Kopf und zog sich zur Tür zurück, wo er sich noch einmal tief verbeugte, bevor er das Gemach verließ.
Lilya starrte die unschuldige Tür wütend an. Wie redete man mit einem Jungen? Sie bekam nie Gelegenheit, das zu tun. Sklaven und Eunuchen gab man Befehle. Aber wie redete man mit jemandem, dem man keinen Befehl geben wollte?
Sie stürmte ins Schlafgemach und warf sich mit einem erbitterten Stöhnen auf ihr Bett.
Der Traum kam mit der gewohnten, dunklen Kraft, die sie in ihr Kissen drückte und so schwer auf ihr lastete, dass sie kein Glied mehr rühren konnte. Sie fühlte, dass sie schlief, aber gleichzeitig war sie hellwach und voller Angst.
Sie rannte, und neben ihr, ein schlanker, geschmeidiger Schatten, rannte ihr Bruder. Das hohe, trockene Gras raschelte und peitschte um ihre Pfoten, die auf den sandigen Boden trommelten. Die Jäger waren hinter ihnen. Sie konnten sie hören, fühlen, riechen.
Ihr Bruder winkte ihr mit den Augen. Trennen. Du rechts, ich links. Versteck dich.
Sie blinzelte zur Bestätigung, dann warf sie sich herum und verbarg sich in einem dichten, struppigen Gebüsch. Ihr Atem ging hastig, und sie bemühte sich, ihn zu beruhigen. Sie würden sie hören. Sie hatten Hunde, die scharfe Ohren und noch schärfere Nasen besaßen.
Das Hecheln und aufgeregte Jaulen kam näher. Sie hörte dieRufe der Jäger. Dann einen Schrei, der anstieg, lauter wurde, gequält abbrach, und das laute, rasende Gebell der Meute. Blutgeruch zog durch die Luft. Die Jäger hatten einen ihrer Freunde, eins ihrer Familienmitglieder erwischt!
Sie musste an sich halten, um nicht aufzuspringen. Ihr Bruder hatte ihr strikte Anweisungen gegeben, wie sie sich in so einem Fall verhalten sollte ‒ sie war die Jüngste, sie hatte keine Erfahrung, wusste nicht, wie man gegen Spieße und Bögen, lange Dolche, Dreizacke und Netze kämpfte.
Deshalb duckte sie sich tief auf den Boden, während Tränen in ihrer Kehle steckten.
Und wieder kamen die Hunde näher. Und näher.
Lilya schreckte hoch. Sie saß aufrecht in ihrem Bett und der Angstschweiß klebte ihr Nachthemd am Rücken fest. Es war dunkel und still, draußen im Garten sang eine Nachtigall. Kein Hundegebell, keine Jäger. Kein Blutgeruch, nicht der Schrei eines Sterbenden ...
Sie wischte sich über die Stirn und bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Einen Moment lang sah sie verblüfft auf ihre
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