ePub: Drachenhaut (German Edition)
leise ihre Aufzählung. »Das sagen sie über mich«, setzte sie hinzu.
Der Beg schloss die Augen, seine Lippen bewegten sich in einem stummen Selbstgespräch. Dann sah er sie wieder an, erkannte wohl die Furcht in ihrem Gesicht und zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist gut, Kind. Ich bin nicht böse auf dich. Du nimmst dir diese Worte doch nicht zu Herzen?«
Lilya schüttelte den Kopf. Nein, das tat sie nicht. Aber niemand konnte von ihr verlangen, dass sie besondere Zuneigung zu ihren Verwandten hegte.
»Ich werde Katayun darauf hinweisen«, fuhr ihr Großvater fort. »Es geht nicht an, dass im Haus über dich so gesprochen wird.« Er schlug die Faust in die Handfläche. Lilya hatte ihren Großvater noch nie wütend erlebt und der Anblick erschreckte sie.
»Ich möchte nicht, dass Katayun Banu böse auf mich ist«, wandte sie ein. »Lass sie doch reden, Baba.« Der Frau des Hauses, Großvaters Hauptfrau, ging Lilya lieber aus dem Weg, wenn sie es konnte. Katayun war kalt, herrisch und streng, falls sie von Lilya überhaupt Notiz nahm. Sie war es, die alle anderen gegen Lilya aufhetzte, aber das konnte sie ihrem Großvater doch schlecht sagen. Außerdem hatte er ohnehin nicht vor, auf ihren Einwand zu hören, das konnte sie sehen. Lilya seufzte und nahm sich vor, der Frau ihres Großvaters in den nächsten Tagen lieber nicht unter die Augen zu kommen.
»Gut«, sagte der Beg entschieden. »Ich werde über deine Bitte nachdenken und erwägen, ob ich sie gewähren kann. Der Verwalter hat meines Wissens im Herbst einige junge Sklaven gekauft. Es könnte etwas Passendes für dich dabei sein.« Er erhob sich und wandte sich zur Tür.
Lilya hielt kurz den Atem an. »Wenn ich mir jemanden wünschen dürfte ...«
»Ich denke darüber nach.« Das klang endgültig.
Lilya neigte kurz und höflich den Kopf. »Danke, Großvater.«
D UNKELMOND
Ich gehe zum Basar, kannst du dir das vorstellen? Vor Ajja habe ich so getan, als wäre das nicht weiter der Rede wert und etwas, was ich jeden Tag mache. Aber jetzt sitze ich allein an meinem Schreibtisch und fühle, wie mir das Herz bis zum Hals schlägt. Ich werde morgen das Haus verlassen und in die Stadt gehen, um für meine Tante Gulzar ein Geschenk zu kaufen.
Oh, wie aufgeregt ich bin! Ich werde bestimmt die ganze Nacht kein Auge zutun.
Es ist still und finster draußen vor meinem Fenster. Kein Mond in dieser Nacht. Dunkelmond ist immer ein wenig unheimlich, findest du das nicht auch? Ich weiß, dass einige meiner Cousinen sich in solch einer dunklen Nacht nicht in den Garten trauen würden. Soll ich dir etwas gestehen? Ich liebe den Dunkelmond. Ich bin schon als kleines Mädchen heimlich hinausgelaufen und habe mich in der Finsternis zwischen den duftenden Büschen des Gartens verborgen. Ich habe belauscht, wie die Bäume miteinander sprachen in ihrer wispernden, flüsternden Sprache der Blätter und Zweige. Ich habe das Rascheln und Nagen des kleinen Getiers gehört, ihre trappelnden, huschenden Füßchen. Hin und wieder ist etwas über meinen Fuß gelaufen oder an meinem Arm emporgekrabbelt, und wovor ich m ich am hellen Tag gefürchtet oder geekelt hätte, das war mir in der Dunkelheit der mondlosen Nacht angenehm wie die Berührung eines Freundes.
Die Luft schmeckt süß, wenn der Mond sich verbirgt. Auch jetzt sitze ich am Fenster und blicke hinaus, voller Sehnsucht nach der Umarmung der Nacht. Ich habe das Licht gelöscht und sehe die Glühwürmchen, die durch den Garten tanzen. Wie gerne würde ich mit ihnen durch die Nacht schweben. Das Sonnenlicht tut meinem Auge weh und es schmerzt auf meiner Haut. Aber die weiche Luft der Nacht ist lind wie zarter, weicher Stoff, und am sanftesten ist sie ohne das kühle Silberlicht des Mondes.
In einer solchen Nacht fühle ich mich gesund und stark. Ich wünsche mir, unter dem schützenden Dach des Himmels über die weiten Ebenen der Steppe zu laufen, das trockene, raschelnde Gras unter meinen Füßen federn zu fühlen und an deiner Seite mit starken, weiten Sprüngen mit dem Wind um die Wette zu rennen.
Ich glaube, dass es eine solche Nacht sein wird, in der wir uns begegnen, Seelenbruder.
»Mein Prinz?« Der Obersteunuch blieb an der Tür stehen und verbeugte sich mit über der Brust gekreuzten Armen.
Der junge Mann, der am Fenster lehnend hinausblickte, drehte sich nicht um. »Aspantaman«, sagte er unwillig. »Was gibt es?«
Der Erzieher des Prinzen trat vollends ins Zimmer und sah seinen Schützling prüfend an.
Weitere Kostenlose Bücher