ePub: Drachenhaut (German Edition)
König«, sagte sie. »Der Shâya hat ihn rufen lassen, weil es den Magiya des Königs nicht gelingen will, dem Prinzen zu helfen.« Sie pustete die Luft aus. »Dein Großvater ist viel klüger und mächtiger als diese Scharlatane«, sagte sie stolz.
»Und? Hat er etwas für den Prinzen tun können?«, fragte Lilya. »Was ist überhaupt mit ihm, ist er krank?«
Ajja beugte sich vor und raunte ihr ins Ohr: »Man sagt, der Prinz sei verhext! Schon seit einigen Jahren, aber die Auswirkungen des Fluches werden mit jedem Jahr schlimmer, erzählt man sich.«
»Ach«, erwiderte Lilya uninteressiert. Sie zupfte an einem der bimmelnden, klimpernden Zöpfchen und seufzte. »Was für ein Fluch ist es denn? Spuckt er Goldstücke aus, wenn er lachen muss, oder weint er Perlen? Muss er jede Nacht Stroh zu Silber spinnen, oder wird alles, was er anfasst, zu Stein?«
Das Kindermädchen sah einen Augenblick lang ärgerlich aus. »Mach dich nicht lustig darüber«, sagte sie. »Der arme Junge wird in seinen Gemächern gefangen gehalten, sagt man, und darf niemals hinaus, und immer, wenn der Mond wechselt, hört man ihn schrecklich schreien.«
»Sagt man«, zog Lilya sie auf.
»So habe ich erzählen gehört, ja.« Das Kindermädchen kniff die Lippen zusammen und verstummte wahrhaftig für eine geraume Zeit.
Lilya seufzte. »Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich wollte dich nicht ärgern, Ajjaja.«
Der alte Kindername wirkte, die Amme begann gegen ihren Willen zu lächeln. Sie hob die Hand und streichelte Lilyas Wange. »Du bist mein liebes Mädchen«, sagte sie. »Willst deine alte Ajja nicht ärgern, das weiß ich doch.«
Lilya legte die Arme um Ajjas füllige Taille und drückte sie an sich. Das Kindermädchen roch nach Zuckerzeug und frischem Brot. »Gehen wir heute noch auf den Basar?«
»Morgen«, sagte Ajja. »Ich muss uns erst eine Sänfte, einen Träger und einen Begleiter besorgen. Zorhez soll uns beschützen. Und vielleicht auch noch der dicke Teto. Er ist stark und besonnen.«
Lilya lachte. »Wir gehen doch nur zum Basar, Ajja. Nicht auf eine Expedition.« Sie spürte, wie ihr Herz aufgeregt schlug.Wann war sie zuletzt auf dem Basar gewesen? Sie ging doch niemals aus dem Haus, weil sie die vielen Menschen fürchtete. Aber jetzt freute sie sich auf den Ausflug.
Sie hatte es kaum zu hoffen gewagt, aber der Beg rief sie nach dem Abendessen zu sich in sein Arbeitszimmer. Lilya eilte die Treppen hinauf und drückte die Tür auf. Es war dunkel im Zimmer, nur auf dem kleinen Tisch neben dem Lieblingssessel ihres Großvaters brannte eine Öllampe. Einen Augenblick lang dachte Lilya, sie sei allein, aber dann bewegte sich etwas im Schatten, eine Hand erschien auf der Sessellehne, ein Kopf beugte sich vor ins Licht. »Lilya«, sagte der Beg, »komm her zu mir.«
Sie lief zu ihm und hockte sich auf den Schemel zu seinen Füßen. Seine Hand legte sich auf ihre Schulter und drückte sie mit festem Griff. Sie duldete seinen prüfenden Blick, aber ihr Inneres erzitterte. Sein scharf geschnittenes Gesicht mit der großen Nase und den buschigen, grauen Brauen erschien ihr erschreckend fremd. Seine Augen waren lichtlose, tiefe Höhlen, die Falten erschienen wie Täler, in denen unbekannte Wesen sich verbargen, sein Mund war streng und schmal unter dem weißen Bart. Er trug formelle Kleidung, wahrscheinlich hatte er sich nach seiner Rückkehr vom Serail noch nicht umgekleidet.
»Großvater?«, fragte sie beklommen. »Bist du mir böse? Du siehst mich so streng an.«
Sein Blick, der so fern und kalt gewesen war, belebte und erwärmte sich. Seine Hand, die so schwer auf ihrer Schulter ruhte, hob sich und tätschelte ihr die Wange. »Vergib mir, Kind«, sagte er mit einem Seufzen. »Ich bin müde. Es war vielleicht dumm von mir, dich heute Nacht noch zu mir zu rufen, aber ich habedich vermisst. Geht es dir gut, meine Enkelin? Was hast du alles erlebt, als ich fort war?«
Sie zögerte, erzählte dann von Ajja und den Vorbereitungen für das Frühlingsfest und davon, dass sie zum Basar wollte, um Tante Gulzar ein Geschenk zu kaufen. Er hörte ihr zu, nickte, lächelte, aber sie konnte sehen, dass er in Gedanken weit weg war.
»Zum Basar also?«, sagte er, als sie verstummte. Sein Blick richtete sich scharf auf sie. »Du willst wirklich in die Stadt? Nun, ich werde es dir nicht verbieten, wenn dies dein Wunsch ist, obwohl ich diesen Ausflug für unnötig und nicht schicklich halte.«
Lilya sah ihn erschreckt an. »Nicht
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