ePub: Drachenhaut (German Edition)
Edelmannes. Dunkelhäutige Sklavinnen waren keine Seltenheit in den Harems der Vornehmen ‒ und wenn ein Kind wie dieses Mädchen von ansehnlicher Gestalt und mit einem hübschen Gesicht ausgestattet war ... Seine Gedanken stockten. Aber dieses Mädchen war verunstaltet. Und dennoch war sie jemandem so kostbar, dass er sie wie eine vornehme Dame aufwachsen ließ.
Er veränderte seine Haltung und ließ sein Haupt auf den schweren Tatzen ruhen. An Schlaf war nicht zu denken in dieser Nacht. Wie unruhig er war. Dunkelmond. Er hätte die Nacht sonst ausgenutzt bis zum ersten Tageslicht. Die einzige Nacht im Monat, in der er ganz und gar er selbst war. Je näher es nun auf den vollen Mond zuging, desto mehr würden seine menschlichen Gefühle schwinden, bis er nicht mehr fähig war, Worte zu denken und sich selbst als Mensch zu fühlen, der in einen Tierkörper gesperrt war.
Wenn der Vollmond sich am Himmel zeigte, war Massinissa, der Prinz von Gashtaham, vollkommen verschwunden, und nur noch Amayyas, der Panther, trabte ruhelos durch diese Gemächer, die sein Käfig, sein Gefängnis waren.
»Aspantaman«, murmelte er.
»Hast du gerufen, mein Prinz?« Sein unermüdlicher Erzieher regte sich in dem Ruhesessel, in dem er in diesen Nächten über den Schlaf des Prinzen zu wachen pflegte.
Das Sprechen fiel so schwer. Er seufzte. »Ich will, dass du jemanden für mich findest. Ein Mädchen.« Er musste sich ausruhen. Ein Maul voller Reißzähne war nicht für menschliche Sprache gedacht.
Der Obersteunuch kniete neben seinem Lager und lauschte aufmerksam. »Ein Mädchen?«, fragte er.
Amayyas sammelte Kraft für den nächsten Satz. »Sie heißt Lilya. Sie gehört einem der Häuser an, denke ich. Zwei oder drei Jahre jünger als ich. Nicht bei Hofe eingeführt.« Er pausierte.
Der Obersteunuch nickte und erhob sich. »Brauchst du mich im Moment?«, fragte er.
»Nein, geh. Ruh dich aus«, antwortete der Pantherprinz. »Ich will auch versuchen zu schlafen.«
Er schlief nicht. Der wachsende Mond kribbelte in seinen Knochen und ließ das Blut in seinen Adern glühen wie flüssiges Blei. Noch nie hatte er diese Nacht in Panthergestalt verbringen müssen und die Qual war groß. Er lief ruhelos durch seine Gemächer, die vorsorglich von der meisten Einrichtung befreit worden waren. Die Fenster waren vergittert, die Türen mit Riegeln gesichert. Niemand sollte zu ihm gelangen können ‒ aber noch mehr sollte der Pantherprinz daran gehindert werden, durch das Serail und die Gärten zu streifen.
Einen Moment lang erwog Amayyas eine Flucht. Er konnte darauf lauern, dass Aspantaman zurückkehrte. Sein Erzieher war der Einzige, der ohne bewaffneten Schutz zu ihm kam. Er musste ihn überwältigen, bevor es Aspantaman gelang, die Tür hinter sich zu verriegeln. Seinen Fluchtweg hatte er bereits gut geplant. Die Gärten waren von einer hohen Mauer umgeben und das Tor pflegte des Nachts fest verschlossen zu sein. Aber er konnte den kurzen Gang zum Rosengarten nehmen, dann in den Harem und von dort aus durch die äußere Halle hinaus in die Freiheit gelangen. Es wäre zu schaffen. Natürlich durfte Aspantaman keine Gelegenheit erhalten, die Wachen zu alarmieren. Es musste schnell gehen.
Amayyas fühlte, wie er zu zittern begann. Noch war seine Verwandlung zu unvollständig. Noch brachte er es nicht über sich, kaltblütig den einzigen Menschen zu töten, an dem ihm wirklich etwas lag. Aber wenn der Mond sich weiter rundete, wurde die menschliche Stimme in seinem Inneren immer schwächer, und an dem Tag, an dem der Panther stärker war als der Mensch, aber er sich immer noch an den Fluchtweg erinnern konnte ‒ an diesem Tag würde es unweigerlich irgendwann zu dieser schrecklichen Tat kommen. Und niemand würde sie mehr bedauern als Amayyas, wenn er wieder in seine menschliche Gestalt und zu seinen menschlichen Gefühlen zurückgekehrt war.
Ich muss ihn warnen, dachte der Pantherprinz. Er darf nie wieder allein und unbewaffnet zu mir kommen.
Aber er wusste, dass Aspantaman niemals eine Waffe gegen ihn erheben würde. Er liebte seinen Zögling so, wie dieser seinen Erzieher liebte.
Amayyas stöhnte und verkroch sich in einer Ecke seines Gemaches. Nicht mehr denken. Nicht mehr fühlen. Der Tod wäre eine Erlösung, aber niemand hier im Serail konnte ihm diese Erlösung zuteilwerden lassen.
Wachsender Mond. Er zerrte an seinem Fleisch wie ein machtvoller Zauberspruch, ließ den Panther wachsen und stärker werden. Mit jedem Tag, an
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