ePub: Drachenhaut (German Edition)
lief, nickte eingeschüchtert. Sie hob die Hand zum Mund und unterdrückte einSchluchzen. Ihre Eltern. Großvater sprach nie über sie. Niemand schien sie zu vermissen. Manchmal war es ihr, als hätte niemand ihre Eltern überhaupt gekannt. Ajja war erst zum Haushalt des Begs gekommen, als er eine Amme für seine Enkelin benötigte. Sie hatte Lilyas Eltern nie kennengelernt. Und Lilya selbst erinnerte sich immer nur in ihren bösen Träumen an sie. Wenn sie wach war, war da ‒ nichts.
»Warum?«, fragte sie. »Was haben meine Eltern Dem Naga getan? Wer ist er überhaupt?«
Der Beg rieb sich mit einer erschöpften Geste über die Stirn. »Du stellst Fragen, die zu beantworten viel Zeit kosten würde«, erwiderte er. »Zeit, die ich jetzt und hier leider nicht habe. Die Sterne stehen heute Nacht günstig, und der Shâya erwartet, dass ich seinen Sohn von dem Fluch befreie, mit dem Der Naga ihn belegt hat ...«
Lilya konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. Kobad sah sie streng an. Er hasste es, unterbrochen zu werden. Lilya legte entschuldigend die Hand vor ihre Lippen.
»Nun, wie ich sagte, ich habe keine Zeit mehr.« Er stützte sich auf seinen Stock und stand auf. »Das Buch suche ich dir heute noch heraus. Du darfst mich morgen nach dem Abendessen aufsuchen, dann werde ich versuchen, einige deiner Fragen zu beantworten.«
Lilya drehte sich alles, und ihr Herz klopfte so stark, dass es ihr in den Ohren dröhnte. Der Tag hatte so viel Seltsames, Erschreckendes und Verwirrendes gebracht, dass sie kaum wusste, wie ihr geschehen war. Sie legte sich auf ihr Bett und starrte zur Decke. Das Schlangengesicht Des Naga tanzte vor ihrem inneren Blickund züngelte höhnisch. Der Jüngling, der ein Panther war, sah sie trotzig und flehend zugleich an. Die alte Wüstenfrau zog sie so nah an ihr tätowiertes Gesicht, dass Lilya ihren Atem spüren konnte. Dunkelheit und tanzender Fackelschein. Leere Gänge und schwarz gähnende Gewölbeöffnungen, aus denen Geisterfinger nach ihr zu greifen schienen. Hallende Schritte, die ihr folgten, aber wenn sie sich umwandte, war da niemand. Der Naga berührte ihre Stirn, und seine Finger brannten sich glühend heiß und eisig kalt in ihren Kopf.
Lilya schreckte hoch. Sie war in einen fiebrigen Dämmerschlaf gefallen, in dem sie allerlei Gesichter narrten, und benötigte einige Atemzüge, bis sie wieder wusste, wo sie war. Kühle Nachtluft wehte ins Zimmer. Sie tappte zum Fenster, um es zu schließen, und hörte, wie im Hof jemand leise ihren Namen rief. Yani.
Lilya beugte sich hinaus und winkte ihm. »Komm«, flüsterte sie. Sie sah sein bestätigendes Winken und ging ins Nebenzimmer, um ihm die Tür zu öffnen.
»Ich habe Neuigkeiten«, empfing Lilya ihn. »Gute Neuigkeiten! Mein Großvater hat eingewilligt, du wirst künftig als mein Leibsklave an meiner Seite sein. Ist das nicht schön?« Sie strahlte ihn an und erwartete einen Ausruf der Freude und Überraschung.
Yani enttäuschte sie. Er starrte sie fassungslos an, dann wich er einen Schritt zurück, als wollte er aus dem Zimmer fliehen. »Leibsklave?«, stotterte er. »Aber ‒ was habe ich dir getan, Lilya? Womit habe ich dich geärgert?« Er warf sich zu Boden und legte die Stirn auf die Hände. »Vergib mir, Banu. Ich werde dich nicht wieder belästigen. Nimm dieses Urteil von mir, ich flehe dich an!«
Lilya öffnete verblüfft den Mund und blinzelte mehrmals. Was war in Yani gefahren? Machte er sich über sie lustig?
»Was ist los mit dir?«, fragte sie. »Bist du nicht froh, der schrecklichen Küche zu entkommen? Ich möchte nicht, dass du weiter Sklavenarbeit verrichtest, das weißt du. So könnten wir uns den ganzen Tag sehen und Bücher lesen und uns unterhalten ...« Ihre Stimme brach. Yani hatte den Kopf gehoben und sah sie so traurig, so angstvoll an. Es war völlig unmöglich, dass etwas anderes als die reine Wahrheit aus diesem Gesicht sprach.
Lilya kniete neben ihm nieder und schob die Hände unter seine Schultern. »Steh auf, bitte«, sagte sie. »Ich habe dir nichts Böses gewollt, aber anscheinend habe ich einen Fehler gemacht. Willst du mir erklären, worin er besteht? Ich dachte wirklich, du würdest dich freuen.«
Er rappelte sich auf und schüttelte den Kopf. Seine Miene war ungläubig und verwirrt. »Das kannst du nicht geglaubt haben«, sagte er. »Du weißt doch, was sie mit Sklaven machen, die im Harem arbeiten.«
Lilya sah ihn verständnislos an. »Was denn?«
Yani wurde wahrhaftig rot. Er
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