ePub: Drachenhaut (German Edition)
dem sich die Sichel auf ihrem Weg zum vollen Mond weiter rundete, wuchsen Amayyas’ Unrast, seine Nervosität, sein Zorn. Glühend war er, weiß glühend und kalt wie der Vollmond selbst. Wieder und wieder warf er sich gegen die unbarmherzigen Gitter vor seinen Fenstern, rammte er die mächtigen Schultern gegen das unnachgiebige Holz der Türen. Seine Krallen klickten auf dem Marmorboden und rissen tiefe Furchen in die Türblätter. Er zitterte vor Begierde. Jagen. Frei durch die Nacht streifen, wittern, mit empfindlichen Tasthaarendie Luftströmungen erspüren, die ein ängstliches Wild verursacht. Den zarten Duft des Schweißes riechen, das leise, schnelle, angstvolle Klopfen eines Herzens hören.
Er lief von Wand zu Wand, vom Fenster zur Tür. Er fauchte, brüllte seine Wut über das Gefangensein heraus. Der Mond goss sein Silberlicht über den nächtlichen Garten. Er sah ihn durch das Fenster, aber das eiserne Gitter hielt ihn zuverlässig eingesperrt.
Sein Fressen wurde ihm einmal am Tag gebracht, in der Mittagsstunde, wenn er träge und matt auf seinem seidenen Lager ruhte und zu müde war, mehr als den Kopf zu heben. Totes Fleisch war es, das sie ihm brachten, ohne die Würze des Lebensodems und den Reiz der Jagd, die beide erst eine Mahlzeit zu etwas Größerem, Kraftvollerem machten. Er riss appetitlos an dem Brocken Aas herum, um seinen nagenden Hunger zu stillen, aber das tote Essen konnte seine rastlose Seele nicht stärken. Der Trieb, auszubrechen, die dumpfen Mauern hinter sich zu lassen und in die Freiheit zu entkommen, begann übermächtig zu werden. In all den Jahren seiner Gefangenschaft in diesem Körper war dies das erste Mal, dass sein menschlicher Anteil vollkommen in den Hintergrund trat, noch ehe der volle Mond am Himmel stand. Er spürte die Gefahr, die von ihm ausging, aber der Mensch konnte nichts ausrichten gegen den Panther, der nahezu rasend wurde in seiner Gefangenschaft.
Der Mond rundete sich weiter. Drei Tage vor der Vollmondnacht erreichten seine Ruhelosigkeit und sein Zorn schließlich ihren Höhepunkt. In der Nacht hatte er die Seidenlaken und Kissen zerfetzt, die stinkend und besudelt sein Lager bildeten. Er tobte und wütete durch die Gemächer und zertrümmerte alles,was sich zertrümmern ließ, zerfetzte, riss um und zerstörte, was er finden konnte.
Das Fleisch, das sie ihm hingestellt hatten, während er in einen kurzen, erschöpften Schlummer gesunken war, hatte bitter und widerlich geschmeckt, er hatte nur den nötigsten Hunger damit gestillt.
Jetzt wartete er mit bebenden Flanken an der Tür auf das Schnappen der Riegel und das Rasseln der Ketten. Wer auch immer zu ihm ins Gemach trat, war dem Tod geweiht.
Schritte. Das Kratzen eines Schlüssels, das knackende Geräusch, mit dem er sich im Schloss drehte. Ketten klirrten. Der Panther machte sich bereit. Die Tür begann sich zu öffnen und er sprang.
Ein seidiges, leichtes Netz flog durch die Luft und senkte sich auf ihn herab. Wenn er dazu fähig gewesen wäre, hätte er gelacht. Was für ein albernes, zartes Gebilde das war! Sollte es ihn etwa fesseln?
Und während er das dachte, zog sich das Netz über ihm zusammen, die seidenzarten, spinnwebfeinen Schnüre verfestigten sich zu Seilen, die ihn an den Boden schmiedeten, als wären es Eisenfesseln.
»Wir haben ihn«, hörte er eine Stimme rufen. Dann traten Männer ins Gemach. Die Augen des Panthers rollten hilflos. Was hatten sie vor? War sein Vater es müde, einen Werpanther unter seinem Dach zu beherbergen ‒ auch wenn es sein eigener Sohn war? Wollte er ihn töten lassen? Oder waren dies Meuchelmörder, die einen Diener bestochen hatten, um in das Serail zu gelangen?
Dann erkannte er die besorgte Miene von Aspantaman, dersich über ihn beugte. »Ist er wohlauf?«, fragte sein Erzieher jemanden, den Amayyas nicht sehen konnte. »Der Betäubungszauber hat nicht gewirkt, wie mir scheint.«
»Er hat kaum davon gefressen«, rief eine Stimme aus dem Hintergrund. »Es hat ihn nur ein wenig langsamer gemacht, aber das hat ja gereicht.«
Aspantaman sah ihm in die Augen. »Keine Angst, mein Prinz«, sagte er leise. »Dir geschieht nichts Übles. Ich hatte Sorge, dass du etwas Unüberlegtes tust. Deshalb habe ich den Magush gebeten, dich bis zum Mondwechsel zu beruhigen.«
Amayyas fauchte hilflos und schloss die Augen. Die Worte des Menschen begannen bedeutungslos in seinen Ohren zu klingen. Sie wurden zu sinnlosem Gestammel und Gekläffe. Der Mond war so rund,
Weitere Kostenlose Bücher